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Berlinale-Gewinner "Gigante"Verliebt in einen Lippenstift

Bester Erstlingsfilm und Großer Preis der Jury bei der letzten Berlinale: Der Argentinier Adrián Biniez hat mit "Gigante" ein kleines Meisterwerk geschaffen.

Stalker-Thriller und Sozialdrama zugleich: Szene aus "Gigante" mit Carlos Lissardy, Esteban Lago und Horacio Camandule (v.l.n.r.). Bild: ap

Auf der letzten Berlinale bekam "Gigante" den Großen Preis der Jury und wurde als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet. Beides zu Recht. Was der argentinische Regiedebütant Adrián Biniez hier mit wenigen Darstellern und lakonischen, stillen Bildern aus Montevideo bewerkstelligt, ist tatsächlich ein kleines Meisterwerk der romantische Komödie, die sich mit Elementen des Stalker-Thrillers und des Sozialdramas verbindet, ohne dabei verzettelt oder konstruiert zu wirken.

Jara (Horacio Camandulle) ist ein unwahrscheinlicher Held: Der breite, bärige Kerl Mitte dreißig jobbt als Nachtwächter in einem Supermarkt, hört Heavy Metal, liest Fantasy-Romane und löst bei der Arbeit Kreuzworträtsel. Am unteren Lohnende der Mittelschicht, wo er arbeitet, ist das Licht extra kalt und blaustichig: Der riesige Supermarkt hat nachts etwas von einer Fabrik, die Putzkolonnen wirken wie ferngesteuert, in der Tat könnten die Arbeiter hier gleich durch Maschinen ersetzt werden.

Horacio wirkt in seiner panoptischen Schaltzentrale, in der er sich durch die Bilder der Überwachungskameras klickt, auch keineswegs allmächtig, sondern verloren. Bis zwischen den Kühlregalen Julia auftaucht. Für Jara ist es Liebe auf den ersten Zoom. Obwohl er nicht weiß, wie er an die hübsche neue Putzfrau (Leonor Svarcas) herankommen und wie er seine Schüchternheit überwinden soll, beginnt er zu Hause auf der Stelle, Sit-ups zu machen.

"Gigante" findet mühelos die Balance zwischen Verliebtsein und Obsession, zwischen zarten Blicken und Andeutungen von Psychopathie. Der Regisseur Biniez belässt das Spiel der Ahnungen und Hoffnungen bis zum Schluss in der Schwebe. Er zeigt, wie Jara gierig zwischen den Kameras hin und her schaltet, immer auf Julias Spur. Jara gerät ins Schmachten, wenn sie beim Bohnern innehält und einen Labello-Stift aus ihrer Schürze nimmt, um jene wunderschönen Lippen einzucremen, die er - Zoom, Zoom, Close-up! - so gerne küssen würde.

Einmal schaut Julia dabei direkt in die Kamera. Jara erschrickt, fühlt sich ertappt. Und auch der Zuschauer fragt sich: Hat Julia nicht längst etwas bemerkt? Ist ihr nicht aufgefallen, dass sie seit Tagen auf dem Heimweg beschattet wird, dass Jara ihr über die Schulter schaut, wenn sie im Internetcafé eine E-Mail tippt? Spielt sie nicht sogar schon mit ihm? Vor ihrem Haus lässt Julia beim Kramen nach ihrem Wohnungsschlüssel einen Lippenstift fallen. Jara, mit seinen eisblauen Augen, die Sehnsucht, Frust und ein großes Herz spiegeln, sammelt ihn auf - und probiert ihn zu Hause vorm Spiegel aus.

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