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■ Berlinale-AnthropologieBabettes Fest

Auf den „Trampelpfaden“ (Babette), die Journalisten jetzt unsichtbar durch die Stadt treten, zwischen Pressezentrum, Abspielstätten, Hotels, bin ich also Babette begegnet, Filmkritikerin aus Hamburg. „Wir haben uns ja seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen?!“ Stimmt, seit über zehn Jahren. „Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich jedes Jahr wiederkomme: alte Bekannte treffen. Cannes und Venedig dagegen: schon lange nicht mehr. Jetzt möchte ich auch noch dabei sein, wenn zum Potsdamer Platz umgezogen wird – ich war ja schon in der Kongreßhalle dabei.“ Was will uns Babette damit sagen?

Daß sie, obwohl in Hamburg ansässig, zu den nomadisierenden Einheimischen zählt, den angestammten Bewohnern des Terrains, das die Berlinale bildet, zusammen mit den anderen großen Filmfestspielen. Ich dagegen gehöre nicht zu diesen Einheimischen; ich war noch nie in Cannes oder Venedig.

Wir setzen uns an eine der Bars des Interconti. Babette hat einen Espresso bestellt. Ich nehme einen Campari Orange, und einen kurzen Augenblick entsetzt mich, sie könnte mich als Alkoholiker enttarnen, wir haben erst zwei Uhr nachmittags. Doch strahlt sie mich unverdrossen an, und ich bemerkte, daß ihr an dem Strahlen viel mehr liegt als an der Beobachtung meines Alkoholkonsums. Courtney Love! Das sei ja eindeutig der Star dieser Berlinale, „so wie seinerzeit Gary Cooper“! Ja, pflichte ich bei, K. habe im SZ-Magazin ein Interview mit ihr gelesen und sie klug und witzig gefunden. – „Du hättest sie live erleben müssen, hier bei der Pressekonferenz. Duzen wir uns eigentlich?“

Ich staune, woher sie weiß, daß ich die Pressekonferenz versäumte; denn sie soll völlig überlaufen gewesen sein, und ich hätte mich gut in der Menge verstecken können. Aber Babette riecht, denke ich, daß ich keiner der Einheimischen, der nomadisierenden Filmjournalisten bin und also die Pressekonferenz mit Courtney Love gar nicht richtig einschätzen kann („differente Relevanzkriterien“). Könnte ich widersprechen: Doch, doch, ich war da – Babette wäre fast gekränkt.

Auch daß ich mich erkundige, ob „Larry Flynt“ ein schöner Film sei, Milos Forman habe doch viel Mist gebaut, wenn ich an „Liebe einer Blondine“ zurückdenke... Auch das disqualifiziert mich (einmal ganz davon abgesehen, daß ich „Larry Flynt“ natürlich am Samstag im Zoo-Palast selber hätte sehen müssen, um zu den Einheimischen zu rechnen): Courtney Love und Milos Formans Film gehören, auch wenn sie darin eine Hauptrolle spielt, zwei Klassen von Ereignissen an, die streng getrennt zu halten sind.

„Und ,Einer flog über das Kuckucksnest‘ war doch große Klasse – schon allein wegen Louise Fletcher.“ Dabei verdreht Babette die Augen wie Jack Nicholson. Ich habe noch einen Kaffee bestellt, und Babette ist mit der Pressekonferenz fortgefahren, die Jane Russell als Ehrengast der Berlinale seinerzeit gab.

Wie großartig die 75jährige hereinrauschte und die „Journies“ (Walter Keller) mit „Hi! Boys!“ begrüßte. Nein, keine Spur geliftet, unmanipuliertes Altfrauengesicht, „unheimlich authentisch!“ – Und dann habe sie die Journalisten gleich angemacht: Vermutlich wollten sie doch alle über ihren Büstenhalter sprechen... Wieder strahlt Babette dieses Strahlen, das sich selbst vollkommen genügt.

Ich verschweige, daß für meine Begriffe die Pressefotos von Jane Russell eine gräßlich geliftete, alte Frau zeigten; und daß der Büstenhalter – ein Knochen, auf den jeder Journalist gleich springt – ja leider das einzige sei, was von Jane Russells Kinokarriere übrigblieb.

„Jetzt muß ich aber weiter. Mal sehen, was dieser Bernard- Henry Lévy da mit Alain Delon und Lauren Bacall angestellt hat.“ – „Das war doch einer von den Neuen Philosophen, damals.“ – „Ja, manche Leute müssen überall Publicity abstauben.“ Michael Rutschky

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