Das Weihnachtsessen steht im Zeichen des Umbruchs. Wir schreiben das Jahr 1989, und die meisten der Protagonistinnen aus Tomasz Wasilewskis „United States of Love“ (“Zjednoczone stany miłości“) sitzen gemeinsam an einem Tisch. Die Erwartungen an die Zukunft sind eher verhalten, doch die Hoffnung, dass sich zumindest ökonomisch etwas bessert, steht im Raum.
Schauplatz des Films ist ein Plattenbau in der polnischen Provinz. Kameramann Oleg Mutu, bekannt für seine Zusammenarbeit mit Cristi Puiu, rückt ihn wie einen bleichen Kasten in seine Breitwandbilder. In den kunstvoll ausgeblichen Farben wirken die Lebensumstände, die Wasilewski mit Konzentration auf den Umgang der Menschen vermisst, noch ein wenig depressiver.
„United States of Love“ ist ein Film gris (“grauer Film“), in dem sich der gesellschaftliche Wandel im Privaten noch nicht bemerkbar macht. Der Blick ist auf vier Frauen gerichtet, auf ihre Einsamkeit, unterdrücktes oder unerwidertes Begehren, auf die stille, aber offensichtliche Verzweiflung, die sich an kleinen Gesten und Überschussreaktionen manifestiert.
Auf der Suche nach der großen Geste
Am Anfang ist man von der inszenatorischen Genauigkeit Wasilewskis noch angetan. Er zerredet die Szenen nicht, sondern setzt sie sehr bildstark um, ohne die Empathie für die Figuren zu verlieren. Die erkaltete Beziehung eines Paares macht er mit sparsamen Mitteln deutlich.
United States Of Love bei der Berlinale
20. 2., 9.30 und 21 Uhr Friedrichstadt-Palast; 10 Uhr, Zoo Palast; 21. 2., 22 Uhr, International
Eine forsch abgewiesene Geste der Zärtlichkeit zwischen den Eltern, der stumme Blick der Tochter und der Vater, der seine Enttäuschung nicht verhehlen kann. In allen vier Erzählstücken, die sich nur lose berühren, lotet Wasilewski das Gefälle zwischen den Geschlechtern aus. Konterkariert wird dies nur von den Predigten eines Pfarrers, dessen Reden von der Liebe, an der es nichts Falsches geben soll, den Realitätsabgleich nicht bestehen.
Doch je länger „United States of Love“ seine szenischen Bausteine aneinanderreiht, in einem Realismus, der an das jüngere rumänische Kino erinnert, desto mehr scheint auch der Defätismus durch.
Berlinale 2016
Der „Goldene Bär für den besten Film“ ging an „Fuocoammare“. Der Preis ist ist die höchste Auszeichnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. „Fuocoammare“ hält das Leben der Menschen auf Lampedusa fest. Er wurde erstmals am 13. Februar im Wettbewerb der Berlinale gezeigt.
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Blitzlichtgewitter, ein selbstfahrendes Auto und jede Menge Stars – das war die Berlinale 2016. Am Sonntag geht sie zu Ende.
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Silberne Bären bekamen Majd Mastoura als „Bester Darsteller“ in „Inhebbek Hedi“ und Trine Dyrholm als „Beste Darstellerin“ in „Kollektivet“ (v.l.). Außerdem erhielt Danis Tanovic den „Silbernen Bären Großer Preis der Jury“ für seinen Film „Smrt u Sarajevu“. Der „Silberne Bär Alfred-Bauer-Preis“ ging an den Film „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von Lav Diaz.
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Preisträgerin Mia Hansen-Love ist glücklich über ihren Silbernen Bären für die beste Regie von „L'avenir“. Auch Tomasz Wasilewski erhielt einen für das Beste Drehbuch von „United States of Love“. Auch Mark Lee Ping-Bing konnte sich glücklich schätzen: Er erhielt einen „Silbernen Bären für eine Herausragende Künstlerische Leistung“ in „Crosscurrent“.
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Kameramann Michael Ballhaus hat den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk bekommen. Sein Markenzeichen: 360-Grad-Kamerafahrten. Bei der Preisverleihung wurde auch „Gangs of New York“ mit Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz gezeigt.
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Meryl Streep erhielt 2012 auch einen Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Die dreifache Oscar-Gewinnerin war in diesem Jahr die Präsidentin der internationalen Jury. Diese verleiht den Goldenen und den Silbernen Bären der Berlinale. Die US-Schauspielerin ist derzeit im Film „Suffragette“ zu sehen.
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Nur durch seine bloße Anwesenheit stach George Clooney bei der Eröffnung der Berlinale am 11. Februar hervor. Selfies mit Fans zu machen gehört zur Berlinale einfach dazu. Clooney spielt die Hauptrolle im Film „Hail, Caesar!“ und zeigte sich mit seiner Frau Amal Alamuddin auf dem Roten Teppich. Am 12. Februar sprach er mit Kanzlerin Angela Merkel über die Flüchtlingskrise.
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In „Hail, Caesar!“ mimt George Clooney den Hollywoodstar Baird Whitlock. Der Film von den Coen-Brüdern entführt den Zuschauer in eines der großen Filmstudios im Hollywood der frühen Fünfzigerjahre. 2011 eröffneten die Coens bereits mit „True Grit“ die Berlinale. „Hail, Caesar!“ ist seit dem 18. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.
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Der deutsche Filmstar Daniel Brühl erregte ebenfalls Aufsehen, als er zur Eröffnungsgala der Berlinale in einem selbstfahrenden Auto erschien. Zudem spielt er im Berlinale-Film „Alone in Berlin“ einen Kommissar, der die Herkunft von Anti-Hitler Postkarten aufdecken soll. Mit Emma Watson ist Brühl abseits der Berlinale auch im Kinofilm „Colonia Dignidad“ zu sehen.
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Der Künstler Ai Weiwei hat am 13. Februar das Berliner Konzerthaus mit Rettungswesten von der griechischen Insel Lesbos einkleiden lassen. Damit will er auf die Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, aufmerksam machen. Ai Weiwei ist Ehrenpräsident des „Cinema for Peace“, das zeitgleich zur Berlinale stattfand.
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Der einzige deutsche Film im Wettbewerb heißt „24 Wochen“. Was macht ein Paar, bei dessen ungeborenem Kind Trisomie 21 diagnostiziert wird?
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Außerdem war im Wettbewerb: der Film „Chang Jiang Tu“. Kapitän Gao Chun fährt mit seinem Frachter auf dem chinesischen Jangtse flussaufwärts. Er soll die Seele seines verstorbenen Vaters befreien und ist gleichzeitig auf der Suche nach der großen Liebe. Der Film ist am 21. Februar im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
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Johnny Oritz ist erst 19 Jahre alt und hat bereits seine erste Hauptrolle im Film „Soy Nero“, der im Wettbewerb gezeigt wurde. Darin verkörpert er den mexikanischen Jungen Nero, der US-Bürger werden will. Oritz hat eine besondere Verbindung zum Thema: Seine Familie ist auch in die USA migriert.
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Der Schauspieler Gérard Depardieu bewarb am Freitag „Saint Amour“. Der Film gewann keinen Bären, er lief außer Konkurrenz.
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Schon in der zweiten Erzählung um eine Schuldirektorin, die von ihrem langjährigen Liebhaber versetzt wird, gibt sich der Film nicht mehr mit kleinen Verfehlungen im Alltag zufrieden, sondern sucht die große Geste. Die Zurückweisung schraubt er bis zu einem Niveau hoch, an dem sie nicht mehr stimmig, sondern kalkuliert erscheint. Das treibt die Situationen immer mehr in Richtung eines Kinos, in dem die Verzweiflung gefährlich nahe an den Kitsch rückt.
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