Berlin setzt auf Musikindustrie: Sound der Zukunft

Während die Großen der Branche Verluste beklagen, feiern sich die kleinen Labels und Clubs. Die all2gethernow zeigt: Berlin ist Brutstätte neuer Ideen - und wichtiger Wirtschaftsstandort.

Auf sie setzt Berlins Wirtschaft ihre Hoffnung: konsumfreudige Musikfans Bild: REUTERS

In diesen Tagen feiern sich in Berlin die Musikmacher - nicht unbedingt die großen Fische der Industrie, sondern eher die kleinen Plattenlabels, die Clubs, Musiker und auch die Partygänger selbst. Noch bis zum Samstag - genauer gesagt bis irgendwann am Sonntagvormittag - laufen die Berlin Music Days, schön abgekürzt zu "Bermuda". In 20 Clubs der Stadt legen teils weltbekannte Berliner DJs auf und spielen Bands. Am heutigen Freitag geht der Branchentreff all2gethernow zu Ende, ein kleiner Ersatz für die mangels Interesse abgesagte Musikmesse Popkomm. Das erwünschte Signal: Die Musikbranche lebt, allem Wehklagen angesichts international sinkender Umsätze und Raubkopien via Internet zum Trotz.

Passend dazu kündigte der Berliner Senat an, dass die Stadt ab kommendem Jahr neben der Mode- auch eine Musikwoche bekommt. Im September 2010 sind ein Festival, ein Kongress, eine Messe sowie Publikumsveranstaltungen geplant. Zu den Partnern gehören das Medienboard und die Musikmesse Popkomm, die im kommenden Jahr wieder steigen soll. "Berlin genießt weltweit einen hervorragenden Ruf als Musikmetropole - und den wollen wir weiter ausbauen", sagte Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) am Mittwoch.

Mit dieser Meinung steht Wolf nicht allein. "Die Popkomm ist tot und keinen stört es", wird seit Wochen in verschiedenen Blogs geschrieben. "Wir wollen ein Gegensignal senden, um zu zeigen, dass die Musikwirtschaft nicht nur rückwärtsgewandt ist", sagt Tim Renner, seit mehr als 20 Jahren Musikmanager. Die Branche habe durchaus noch Ideen für die Zukunft. Berlin sei prädestiniert für Innovationen. "Hier gibt es keine festgefahrenen Strukturen", so Renner.

Tatsächlich hat die Hauptstadt für Musikschaffende viel zu bieten. "Berlin ist weltweit einer der wichtigsten Musikstandorte. Wir konkurrieren nur noch mit London und New York", sagt Eva Kiltz. Sie ist Geschäftsführerin des Verbands unabhängiger Musikindustrie und gleichzeitig Chefin der "Label-Commission Berlin", die in der Hauptstadt rund 230 unabhängige Labels, Verlage und Promoter aller Genres vertritt. Eine Lobbyistin der Independent-Labels. "Die vielfältige Clubszene und geringe Lebenshaltungskosten ziehen Künstler an", so Kiltz. Vieles lasse sich in Berlin ausprobieren.

In der Außenwahrnehmung begann der Hype erst 2002. Der Senat warb um Musikunternehmen, die großen Player Sony, später Universal und MTV kamen in die Stadt, zwei Jahre später zog die Popkomm vom Rhein an die Spree. Dabei gab es in Berlin schon immer kleine und mittlere Labels. "Wir haben den Bodensatz gebildet, ohne uns wären die Großen gar nicht gekommen", sagt Eva Kiltz.

Berlin ist nicht nur in der Wahrnehmung der Kreativen das Zentrum der deutschen Musikindustrie, sondern auch den Zahlen nach. So gab es 2007 laut der Senatsverwaltung für Wirtschaft etwa 1.700 Musikunternehmen in der Stadt (bundesweiter Anteil: 8,3 Prozent) und damit 40 Prozent mehr als noch zur Jahrtausendwende. Knapp 900 Millionen Euro hat die Musikwirtschaft 2007 hier umgesetzt, fast 14.000 Menschen sind dort beschäftigt. Gemessen am nationalen Umsatz haben Berliner Musikproduzenten und -künstler mit jeweils rund 20 Prozent einen überdurchschnittlichen Anteil.

Besonders im Bereich der elektronischen Musik blicken alle Augen auf die Stadt. Einige der wichtigsten Elektrolabels sind in Berlin ansässig, ebenso viele international renommierte Clubs. Und ständig sprießen neue aus dem Boden, manchmal überleben sie nur wenige Wochen, das Drängen nach Ewigkeit ist in Berlin nicht so stark ausgeprägt wie andernorts.

Vor zwölf Jahren hat Ellen Fraatz - besser bekannt unter ihrem DJane-Namen Ellen Allien - das Label Bpitchcontrol gegründet. Von einer Krise der Musikindustrie spürt sie nichts. "Unsere Umsätze wachsen, sie verschieben sich in digitale Bereiche", sagt sie. Geld verdient das Label heute vor allem im Netz und mit Vermarktungen über Filme und Werbung. "Es gibt heute alles im Übermaß, dass da nicht jeder überlebt, ist klar. Aber: Eine gute Platte geht ihren Weg", ist sich die Labelchefin sicher.

Viele kleine Labels und Musikverlage prägen das Bild der Hauptstadt. Da diese wesentlich flexibler sind als die großen Unternehmen, entwickeln sich in Berlin oft neue Ideen zu Vertriebswegen und Geschäftsmodellen. Ein Label wie Kitty-Yo, einst mit Künstlern wie Chikinki oder Peaches überaus erfolgreich, ist nach einer Insolvenz zum reinen Digitallabel geworden, das Musik mit Kunst und Mode verbindet. Yehonala Tapes verkauft handgemachte Musikkassetten in Auflagen von 30 bis 100 Stück. Etliche Berliner Labels fügen ihren Vinylplatten eine Lizenz zum MP3-Download bei. Oft werden neue Künstler und Tracks online getestet, bevor Platten gepresst werden. "Man muss genau nachdenken, was man veröffentlicht und was nicht", sagt Ellen Fraatz.

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