Berlin in Städterankings: Null Bock auf Bewertung
Ständig erscheinen neue Städterankings. Die Quantifizierung der Lebensqualität und Zufriedenheit der Bewohner*innen ist sinnlos und verwirrend.
G lücksranking, Glücksatlas, Happiness-Index, Städteranking zur Lebensqualität: Es ist offenkundig die Lieblingsbeschäftigung von Forschungsinstituten, Magazinen und Unternehmen, alle paar Wochen aufs Neue die Zufriedenheit der Bürger*innen und die Lebensqualität deutscher Städte zu „messen“. Und – Überraschung – sie verwenden alle unterschiedliche Parameter. Gilt einen Tag Ulm als Nonplusultra, ist zwei Wochen später Erfurt der place to be.
Laut dem Bundesländer-Glücksatlas der Süddeutschen Klassenlotterie (SKL), der am Dienstag vorgestellt wurde, sind die Hamburger*innen am glücklichsten. In Mecklenburg-Vorpommern sind sie demnach am unglücklichsten. Erst in der vergangenen Woche erschien der Monitor Wohlbefinden 2024 des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, wonach die höchsten Zufriedenheitswerte in Süddeutschland vorherrschen. Dem SKL-Glücksstädteranking von Ende Mai zufolge waren wiederum die Kasseler am glücklichsten. Die Hauptstädter*innen landeten auf Platz 37. Beim Städteranking des Wirtschaftsinstituts Prognos aus dem Juli hat Ulm die höchste Lebensqualität. Und so geht es munter endlos weiter.
Auf eines scheint man sich bei den Sinnlos-Wohlfühl-Rankings fast immer einigen zu können: Berlin ist der Loser – zumindest bei deutschen Rankings. Bei internationalen hingegen, wie dem des britischen Magazins Time Out, landete Berlin Anfang des Jahres auf Platz 3 der 50 „best cities in the world 2024“. Nur Kapstadt und New York rangierten davor.
Berliner sind unzufriedener als der Bundesdurchschnitt
Beim Glücksatlas von Dienstag hingegen belegt Berlin nur Platz 15. Die Zufriedenheit der Berliner*innen liegt hier unter dem Bundesdurchschnitt und noch hinter Brandenburg. Insbesondere bei der Arbeit und dem Einkommen ist die Unzufriedenheit hoch. „Die hohen Lebenshaltungskosten, insbesondere die Mietpreise, belasten die Einkommenszufriedenheit der Berliner stark“, heißt es.
Ganz richtig: Der Döner um die Ecke ist teuer, der Job fürchterlich entlohnt und die Miete meiner Neuköllner Mietwohnung unbezahlbar. Aber für diese Erkenntnis brauche ich nicht das zigste Ranking in diesem Jahr.
Diese massenhaften Städte-, Glücks- und Tralala-Rankings sind der Gipfel des Quantifizierungswahns. Man kann und muss nicht alles messen. Sie sind ein Paradebeispiel für simplifizierte Vergleiche, die dazu dienen … ja, wozu eigentlich? Doch nur, um verbitterten Kleinstädter*innen ihren November-Blues zu versüßen, indem man ihnen vorgaukelt: Ihr seid die Glücklichsten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen