: Berlin & ich (4)
„Dette macht fünfundfuffzich Cent, wa.“ Die Frau an Kasse sieben grinst mich an. Blass ist sie. Grau im Gesicht. Ich zahle. Als ich den Dr.-Oetker-Sahnepudding vom Band nehmen will, ein tosendes Geräusch. Kurze Erschütterung. Schüssiiiiiee, sagt sie. Als wäre nichts. Dabei rumpelte gerade über uns ein Zug hinweg. Wie jede Minute.
Ich bin mitten in Berlin. Im Supermarkt am Bahnhof Zoo. Er liegt unter den Gleisen. Oberirdisch zwar, aber das merkt keiner. Mehr ein großes fensterloses Lager für Lebensmittel als Supermarkt: weiße Wände, Neonlicht. Und ich glaube, dort Berlin entdeckt zu haben. Anders gesagt: den Eintopf der Welt. Es war ein Zufall.
Eigentlich wollte ich am Bahnhof Zoo die U-Bahn-Fahrt nur schnell unterbrechen, um zum Kiosk zu gehen. Doch Pech hat, wer in Berlin den falschen Ausgang erwischt: Von meinem Ziel trennt mich eine achtspurige, stark befahrene Straße. Altrocker mit Dosenpils in der Hand lungern rum. Die Arme mit rot-grünen Adlern tätowiert. Es riecht nach Alkohol. Ich gucke auf eine breite Eisenbahnbrücke, gehe in ihre Richtung. Düster ist es unter ihr. Es stinkt nach Pisse. Grünlich weißer Taubendreck überzieht den Asphalt. Es ekelt mich, blicke auf und nach links. „Der Hit – Ullrich Verbrauchermarkt“, ist auf die graue Betonwand gemalt.
Hurra. Vor drei Wochen war ich aus Düsseldorf in die Hauptstadt gezogen. Wahrscheinlich dachte ich deshalb sofort an eine rheinländische Trinkhalle. Weit gefehlt. Ich schiebe die schwere Eingangstür auf und stehe in einem riesigen Einkaufsmarkt. Brötchenduft. Eine Papptafel „Frische Schrippe 0,15 €“ wirbt für die Bäckertheke. Links der Umschlagplatz für die Einkaufswagen. Eine dauergewellte ältere Frau packt ihr Gemüse in Plastiktüten. Ich gehe an ihr vorbei zum ersten Gang. Auf dem Boden kniet eine wohl beleibte Verkäuferin. Ihr hochroter Kopf verrät, wie unbequem es ist, die Chipstüten ins untere Regal zu stapeln.
An der Ecke ein Ständer mit kitschigen Postkarten. Gemüse, Käse, Hundefutter und Bastei-Lübbe-Bücher folgen. Damenwäsche gibt es direkt gegenüber der Wursttheke. Punkmädel, kolumbianischer Musiker, Geschäftsmann, chinesische Austauschstudentin – alle streifen durch die bis oben voll gestopften Gänge. Sie werden die von der Decke baumelnde Werbung „Der Discount-Hit 450 x billiger wie bei den führenden Discountern“ vielleicht besser verstanden haben als ich. „Mönsch, da is ja dette und da is dette“, ruft ein Mittvierziger – Zahnlücke, Goldkettchen, Sonnenbrille – seinem Kumpel zu.
Einige Regale später treffe ich sie wieder. Nur mit der Johnny-Walker-Flasche in der Hand machen sie sich zum Ausgang. Sie gehen zu Kasse sieben. Genau wie an acht, neun, zehn und elf wartet dort eine ganze Schlange. Kinder zerren an ihren Müttern. Ich stelle mich hinter die Whiskeykäufer. „Junger Mann, nun ma nich so schnelle“, sagt die Kassiererin, als die beiden dran sind. Während ich den Sahnejoghurt langsam ein Stückchen weiterschiebe, überfällt mich eine Ahnung, was „Det is Berlin“ heißt. Morgen werde ich wieder da sein.
HANNA GERSMANN
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