Berlin-Kreuzberg: Wenn erst der letzte Baum gefällt ist
Das Kreuzberg Chainsaw Massacre - noch protestieren Anwohner gegen die geplante Abholzung von 34 Bäumen am Berliner Landwehrkanal. Warum?
Wir befinden uns im Jahr 2007 nach Christus. Die ganze Welt ist vom Bösen besetzt. Die ganze Welt? Nein, ein von unbeugsamen Schwachköpfen bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Besatzer Widerstand zu leisten.
Kreuzberg. Bei Hilde S. klingelt das Telefon. "Ich bin bereit", sagt die Mittvierzigerin mit fester Stimme. Angriffslustig schaukelt die Bernsteinkette auf ihrem dünnen Kettenhemd aus Kaschmir. Sie ist eines von 500 Gliedern der Telefonkette, dazu kommt noch eine 1.500-köpfige Internetkette, die im Notfall zur Menschenkette gefügt werden, bzw. zu Menschen, die sich an Bäume ketten - gegen die Kettensäge. Das ist Kett-, äh, Kreuzberg.
Mittlerweile nur noch eine Hand voll Bäume sind es, die das Schifffahrtsamt am Berliner Landwehrkanal fällen lassen möchte - die Uferbefestigung ist einsturzgefährdet: Spielende Kinder, Schiffsverkehr, Uferbiertrinker schweben in ständiger Bedrohung. Ein altes indianisches Sprichwort kommt mir in den Sinn: "Erst wenn die letzte Böschung abgesackt, der letzte Abhang abgebrochen und das letzte Ufer abgerutscht ist, werden die Kreuzberger feststellen, dass ein Baum nicht schwimmen kann." Doch es geht hier nicht um Argumente - Augenmaß ist ein Fremdwort in diesem von massenhaft Schwachsinnigen bewohnten Krawallbezirk, die darauf auch noch stolz sind: "Aber hier in Kreuzberg lassen wir uns das nicht länger bieten", entlarvt die Aussage von Arno Paulus, Mitbegründer des Aktionsbündnisses "Bäume am Landwehrkanal", dass es eher um die Attitüde geht, denn er kommentiert die erste Fällung in Charlottenburg, wo blöde Jasager wohnen, die Bäume nicht verdient haben.
Ganz anders "hier in Kreuzberg". Sobald irgendwo ein Murmeltier eingeschläfert, ein Kind mit dem Bade ausgeschüttet oder gar ein McBushs Drive-in ins coole Ghetto gesetzt zu werden droht, greifen reflexartig die Mechanismen: Zettel werden verteilt, für die ein halber Wald dran glauben musste. Sie künden von "Problembäumen" - eine Erle namens Bruno soll bei Nacht und Nebel wider alle Absprachen zwischen Amt und Bürgerinitiative von bayerischen Förstern aus dem Hubschrauber raus gefällt worden sein.
So auch am 5. Juli, einem schwarzen Tag für die sperrigen Kohlenstofffresser. Unter dem Schutz von 150 Polizisten werden 22 Bäume wankelmütig - Relationen wie bei einer Nazi-Demo. Die Telefonkette kämpft wie ein Mann: Während Hilde S. einen sterbenden Baum umarmt, verbeißt sich Hartmut A. in die Wade eines Uniformierten. Doch es hilft alles nichts. Von den Balkonen blicken die armen reichen Anwohner - Jahrgang 61, BAT 61, Kreuzberg 61 - hilflos aufs grausame Geschehen.
Doch der Kampf geht weiter. Täglich um 18 Uhr findet auf der Admiralbrücke ein Protesttreffen statt. Einige Damen sehe ich dort pünktlich versammelt. Die Kinder sind sichtlich aus dem Haus - jetzt sind die Bäume dran. Eine trägt einen entsetzlichen Hut; ein Herr, dessen Teint von seinem fantastisch bestückten Weinkeller berichtet, gibt den Hahn im Korb. Ein Schild zeigt, "nach der Sanierung", wohl ein Bild des Suez-Kanals nach seiner Bombardierung durch Ali Baba und die vierzig Räuber. Die Frage, wie das bei 34 zu fällenden Bäumen auf elf Kilometer Kanallänge jemals so aussehen soll, triebe selbst dem Reichspropagandaminister die Schamesröte ins Gesicht.
"Alles wegen diesen Scheißarbeitsplätzen", schimpft die Hutfrau, übrigens eine Kusine von Hilde S., "raus aus den alten Strukturen". Ich empfehle ja noch vor jeder weiteren Diskussion: "Runter mit dem entsetzlichen Hut!" Im Internet kommentiert hingegen Anonymus: "Dass dort protestiert wird, da die Bäume abgeholzt werden. UNGLAUBLICH!!! Ich habe bis heute nichts davon gewusst und muss sagen, dass ich solche Aktionen begrüße!" Es gibt also durchaus Menschen, die die Abholzung begrüßen. Dass man dafür in Großbuchstaben angebrüllt wird, muss man hinnehmen. Das ist nun mal Kreuzberg.
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