Berlin-Konzert von Jimetta Rose und Chor: Dem Atmen einen Ton geben
US-Sängerin Jimetta Rose tritt Samstagnacht mit ihrem Gospelchor The Voices of Creation bei ihrer ersten Europatour im Berliner Tresor auf.
Gegen Ende des Konzertes ihres Chors The Voices of Creation im Berliner Club Tresor am Samstagnacht hält Leiterin Jimetta Rose kurz inne und blickt zurück: Wie sie vor wenigen Jahren die Gruppe in Los Angeles gegründet hat und damals dachte, dass sie höchstens einige Auftritte in der Nachbarschaft haben würden; wie ihre Musik sie und ihre Mitglieder nun zur ersten Europatournee um die halbe Welt bringt.
In diesem Moment steckt ungläubiges Stauen, auch Stolz und Selbstbewusstsein, aber vor allem echte Freude über das Erreichte. Und The Voices of Creation gelingt es, diese Freude auf ihr Berliner Publikum zu übertragen – bis alle in verzücktem Gesang vereint singen.
Jimetta Rose ist als Sängerin geboren. Schon im Kleinkindalter sang sie solistisch in ihrer Schwarzen Kirchengemeinde. Später leitete sie den Chor und besuchte die renommierte Hollywood High School, aus der viele Absolvent*innen in der Filmbranche landeten. Dort nahm sie Unterricht in Gesang, Tanz, aber auch Bühnentechnik.
Sie komponiert alle Songs selbst
Ende der Nullerjahre findet sich ihre ausdrucksstarke Stimme auf ersten Alben des experimentellen R-&-B-Produzentrios Sa-Ra Creative Partners. Auch ihr Debüt „The Barber’s Daughter“, ein Kleinod des Soul der Zeit, auf dem Rose alle Stücke selbst komponiert hat, erscheint 2010.
Ein weiteres Album, produziert von der seelenverwandten Funk-Königin Georgia Anne Muldrow, kommt 2016 heraus. Dazwischen hat Rose zwar immer wieder mit Musiker*innen wie Anderson.Paak und Kamasi Washington in Los Angeles zusammengearbeitet, trotzdem blieb ihr größere Aufmerksamkeit versagt.
Der viel zu früh verstorbene Produzent Ras G sagte ihr, sie sei für anderes bestimmt, und verglich ihre Stimme mit der von Sängerin June Tyson, lange die Hauptstimme von Sun Ras Arkestra. Durch diesen Hinweis begann Rose, sich mit dem Spirituellen Jazz der frühen 1970er zu beschäftigen. In Musikveteran Jack Maeby fand sie einen Partner, der ihre Idee umsetzte, einen eigenen Chor zu gründen.
Über das Internet suchte sie schließlich Laienmusiker*innen, mit denen sie unter dem Namen The Voices of Creation 2022 das Album „How Good It Is“ veröffentlichte.
Bouquethafter Strahlenkranz
In Berlin besteht der Chor aus sieben Frauen- und drei Männerstimmen. Beim Konzert im Tresor sind die Musiker*innen in unterschiedlichen Kostümen in Silber gekleidet. Armreifen und Fingernägel sorgen für farbig leuchtende Akzente. Jimetta Rose trägt einen bouquethaften Strahlenkranz.
Wenn sie nicht selbst die erste Stimme hat, steht sie mit dem Rücken zum Publikum und dirigiert ihren Chor mit ganzem Körpereinsatz, gibt Wechsel vor und wählt Sänger*innen für Solos aus. Jack Maeby legt mit Orgel und Synthbass die harmonische Grundlage, dazu kommt Percussion als rhythmisches Gerüst sowie hin und wieder ein Beat aus dem Schlagzeugcomputer. Durch diese sparsame Instrumentierung tritt die ansteckende Kraft des Gesangs noch deutlicher hervor.
Zwar ist das Album der Voices of Creation erst vor einigen Monaten erschienen, am Samstagnacht in Berlin zeigt sich, wie schnell Rose die Gruppe inzwischen weiterentwickelt hat. Der Chor reagiert auf die kleinste Fingerbewegung ihrer Leiterin, es folgt Höhepunkt auf Höhepunkt, selbst aus ruhigen Passagen katapultiert Rose ihre Sänger*innen mit einfachen Mitteln in höchste Sphären emotionaler Intensität.
Liebe und Lebensglück
Textlich drehen sich die Stücke um Liebe, Lebensglück und Freude. Glaubwürdig werden diese simplen Botschaften dadurch, dass Rose keine Predigerin ist, sondern dezent darauf hinweist, dass jede*r einen eigenen Weg für sich finden muss. Dazu kommt Humor. In dem Stück „Operation Feed Yourself“, einer Coverversion von Sons & Daughters of Lite, geht es um ein Rezept für mentale Gesundheit. Nacheinander fragt Rose im Call & Response die Mitglieder des Chors jeweils nach ihren Mitteln.
Diese singen mit umwerfenden Phrasierungen von Begriffen wie Geduld und Sinnlichkeit, worauf ihr Gesangsbeitrag dann von den anderen im Chor beantwortet wird. Ein Sänger scattet lautmalerisch, woraufhin Rose meint, dies sei die Geheimzutat, die jedes Familienrezept für den besonderen Geschmack enthält.
Der Song „How Good It Is“ preist Atmen als Ausdruck von Lebendigkeit. Er lässt sich als Motto von Jimetta Rose und The Voices of Creation verstehen. Denn Singen ist nichts anderes, als dem Atmen einen Ton zu geben. Wer atmet, kann deshalb auch singen und so das Leben in all seinen Höhen und Tiefen erfahren.
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