piwik no script img

Berlin Buch BoomSony gut, alles gut

■ Urbane Qualität oder die Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung: Heinrich Wefings und Andreas Muhs' „Neuer Potsdamer Platz“

Gesetzt den Fall, Berlin wäre Hamburg, und der Potsdamer Platz ein am Hamburger Stadtrand gelegenes Brachfeld, daß seit Jahren mit Gigatonnen von Beton und guten Worten zu einer Vergnügungsstätte aufgeschüttet würde – Kritiker, insbesondere die wertkonservativen, hätten ihre Freude daran, solch ein Bauvorhaben mit Hohn und besorgter Sülze zu übergießen. In der Mitte unserer geliebten Hauptstadt aber entdeckten sie so Sachen wie „neue urbane Qualität“ und wegweisenden Willen zum Mehrwert. Der Potsdamer Platz mußte wohl partout genau das Abakadabra gewesen sein, das Gott zu der zauberhaften Wiedererrichtung Deutschlands wisperte. Soweit, so bekannt.

Selbstredend kann sich eine der ersten Veröffentlichungen zum neu erfundenen Potsdamer Platz dieser nationalen Gruppenzwangsdenke nicht entziehen, und will es auch gar nicht. Der Text von „Der Neue Potsdamer Platz. Ein Kunststück Stadt“ – Neue wirklich mit großem N – entstammt dem FAZ- Autor Heinrich Wefing, und der kann in der Debis-City nichts anderes erblicken als die schon vor hundert Jahren ersehnte Lösung für die Stadtmitte: Ruhe und Ordnung.

Seinen Text teilt er in mehrere Teile, deren erster die Entstehungsgeschichte des Potsdamer Platzes beschreibt, ein Platz, der den Berliner Stadtvätern um die Jahrhundertwende tatsächlich schwer im Magen lag. Denn sein hohes Verkehrsaufkommen, seine Vergnügungsstätten und sein wildwucherndes Wachstum beschrieben eine Form von Urbanität, die das urgemütlich beschränkte Kaiserreich in seinem Wesen eher in Frage stellte, als daß es die gewünschte sauber beherrschbare Spielart von Stadtwachstum war. Nicht umsonst wurde gerade hier die erste Ampel Deutschlands errichtet, und diese Ampel wurde jetzt als Nachbau wieder aufgestellt: zum Zeichen des späten Sieges.

Law und Gepflegtheit galore, selbst Franz Hessel und Siegfried Kracauer werden dafür eingespannt. Schließlich wird kurz und knapp über die Brache dies- und jenseits der Mauer geblickt, um endlich anzulangen in der „Urbanität in Utopia“. Diese schaut aus wie eine Shopping Mall und hat ansonsten keine weitere Funktion. Nur gut, daß sie verkehrsfrei bleibt, von Sicherheitsdiensten bevölkert ist „und schon gar nicht Obdachlose, Penner und ,Haste ma 'ne Mark'-Typen dort abhängen“ werden. Hurra geschrien und begeistert resümiert: „Was gut ist für Sony und Daimler-Benz, wird auch gut sein für dieses Kunststück Stadt. Andere Orte mögen Gespenster einer besseren Vergangenheit sein. Der Neue Potsdamer Platz hingegen ist die natursteinverkleidete Hauptstadt des ,Noch nicht' .“

Auch Fotograf Andreas Muhs läßt sich da nicht lumpen: Allüberall wird gewerkelt, hochgezogen, aufgebaut – freundlich grüßt die sozialistische Propagandafotografie. Mit einem Unterschied: Menschen fehlen hier meistens, also jene, die eine Stadt wesentlich machen. Jörg Sundermeier

Heinrich Wefing, Andreas Muhs: „Der Neue Potsdamer Platz“, BeBra Verlag, Berlin 1998, 176 Seiten, 39,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen