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Berlin-Buch-BoomFreiheit vor dem Schloss

■ Ein eindrucksvoll recherchiertes Buch über die Geschichte einer tristen Gegend, die mal Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens war

Wenn man von Unter den Linden auf die Schlossbrücke kommt, bietet sich einem ein jämmerliches Bild. Links der merkwürdig verkastete Lustgarten, dahinter der in seiner einsamen Pompösität beinahe lustig wirkende Berliner Dom, rechts der teilverkleidete Palast der Republik und davor der aufgebrochene Parkplatz, der die vergangene Schönheit des Schlosses heraufbeschwören soll. Davor, an der Spree, ein unauffälliges, niedriges Podest.

Dass hier einst das Nationaldenkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I. stand, ist kaum zu erahnen. Auch die Vorgeschichte der Uferbebauung dieses Spreearmes, die als die sogenannte Schlossfreiheit in die Geschichte einging, ist kaum bekannt. Im derzeitigen Gerangel um die Restauration der Hauptstadt kommt etwas so endgültig Vergangenes nicht zu seinem Recht. Dabei lässt sich dort eine Menge über die Berliner Geschichte ablesen, wie die Brüder Dietmar und Ingomar Arnold, die Autoren von „Schlossfreiheit. Vor den Toren des Stadtschlosses“ mit ihrem eindrucksvoll recherchierten Buch belegen.

Die Geschichte der Schlossfreiheit begann zur Kurfürstenzeit im Jahr 1672, als Friedrich Wilhelm I. den Erbauern der längs der Spree geplanten Häuser die Befreiung von allen bürgerlichen Lasten, namentlich der Steuern, zusicherte. So schuf sich der Kurfürst die Möglichkeit, verdiente Untertanen zu privilegieren und getreue Nachbarn zu schaffen. In den folgenden Jahren blühte die Schlossfreiheit auf und eine Badeanstalt und ein Café sorgten dafür, dass diese Straße zu einem Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens wurde. Doch bereits Mitte des letzten Jahrhunderts war der Stern der Schlossfreiheit gesunken. Während sich das Schloss inzwischen einer gleichmäßigen Fassade erfreute, bestanden die Häuser der Schlossfreiheit aus zerklüfteten, uneinheitlichen Bauten. Auf früheren Fotos ist zu sehen, dass insbesondere zur Spreeseite hin die Häuser mit ihren Bootsanlegestellen und ihren zum Wasser hin ausgebauten Höfen ein verwirrendes, vielfältiges Bild abgaben, das nicht den damaligen Vorstellungen von einheitlicher Eleganz entsprach.

So wurden die Gebäude der Schlossfreiheit Anfang 1890 abgerissen, das Nationaldenkmal wurde hier errichtet. Bereits der Fuß dieses Denkmals war von enormer Größe und das auf einem Sockel prunkende, mehrere zehn Meter hohe Reiterstandbild Wilhelms des Ersten zeigt, mit welcher Gigantomanie der spätere Kriegskaiser Wilhelm II. liebäugelte. Das Nationaldenkmal blieb bezeichnend für die Geschichte der Nation: 1918 diente es als Hintergrund für revolutionäre Kämpfe, in den Dreißigern fristete es eine unbedeutende Existenz am Rande der Speerschen Hauptstadtplanungen, und nach dem Krieg ließ die DDR das ungeliebte Kaiserdenkmal abreißen. Dabei dachte die Führung durchaus praktisch und ließ einen Teil der dazugehörigen Figuren, eine Löwengruppe, im Tierpark Friedrichsfelde aufstellen. Am Standort des Nationaldenkmals blieb ein Torso übrig, der in den fünfziger Jahren unter anderem als Standort für Parade-Dekorationen diente. Seit dem Bau des Palastes der Republik ist der Torso ungenutzt. Pläne, dort das Marx-Engels-Forum zu realisieren, wurden ebenso fallen gelassen wie alle Vorschläge, die nach 1989 aufkamen.

Das Nationaldenkmal bleibt wahrscheinlich genauso Vergangenheit wie die Schlossfreiheit. Nur sein Fundament mit seinen unterirdischen Gängen ist noch da, und die weisen mit ihren Stalagmiten und Stalaktiten auf die Vergänglichkeit nationaler Großprojekte hin. Die Zukunft dieses Ortes wird offensichtlich erst nach der Entscheidung über den Palast beschlossen werden. Der Vorschlag des Bildhauers Norbert Stück allerdings – mit dem das Buch endet –, die Schlossfreiheit so zu belassen, wie sie jetzt ist, hat jedoch auch keine realistischen Chancen. Wie einst die Schlossfreiheit passt das nicht in den heutigen Geschmack.

Jörg Sundermeier

Dietmar und Ingomar Arnold: „Schlossfreiheit. Vor den Toren des Stadtschlosses“. BeBra Verlag, Berlin 1999, 144 Seiten, 39,90 DM

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