Bericht über Hartz IV-Folgen: Jedes sechste Kind lebt in Armut
Hartz IV hat die Zahl der Kinder verdoppelt, die am Rande des Existenzminimums leben. Die Regelsätze reichen nicht einmal für eine gesunde Ernährung.
BERLIN taz 2,2 Millionen Kinder leben in Deutschland in Armut, jedes sechste Kind ist betroffen. Das gab die Nationale Armutskonferenz am Dienstag bekannt. Schuld seien die Hartz-IV-Gesetze, sagte ihr Sprecher Wolfgang Gern. Die Zahl der Kinder, die in Familien mit einem Einkommen am Rande des Existenzminimus groß werden, habe sich seit ihrer Einführung Anfang 2005 "mehr als verdoppelt".
Was das Thema Armut betrifft, gilt die Konferenz als renommiertes Gremium. Mitglieder sind Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfeorganisationen und Gewerkschaften.
Um die Verarmung zu stoppen, fordern mehrere Mitglieder der Konferenz wie der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Hartz-IV-Regelsätze um ein Fünftel zu erhöhen. Ein Kind unter 14 Jahren erhält nur 60 Prozent des Geldes, das ein Erwachsener bekommt, aktuell sind es 208 Euro. Ein Teenager über 14 bekommt 80 Prozent (278 Euro).
Für viele Familien, die erst Sozialhilfe, jetzt aber Arbeitslosengeld II erhielten, fielen viele Zusatzleistungen für Kinder weg, argumentierten die Sozialexperten der Konferenz. Zudem hätten viele Länder und Kommunen Leistungen wie Fahrtkosten oder Mittel für Schulbücher nicht erhöht oder gekürzt, sagte Roland Klose, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes. "Wenn sich gleichzeitig die Zahl der Kinder dramatisch erhöht, die Anspruch darauf hätte, kommt im Einzelfall eine starke Reduzierung heraus."
Während die SPD seit Tagen über die Hartz-IV-Folgen für Ältere streitet, ist der Effekt für die Jüngsten aus Sicht der Armutskonferenz skandalös. "Kinderarmut ist dort am größten, wo Eltern Schwierigkeiten haben, sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren", sagte Gern weiter. "Das heißt vor allem bei Alleinerziehenden, bei Familien mit drei oder mehr Kindern und bei Familien mit Migrationshintergrund." Der Kinderschutzbund geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Rechne man Kinder aus Sozialhilfehaushalten, aus Flüchtlingsfamilien oder aus Familien hinzu, die ohne Pass im Land leben, träfe Armut bis zu 3 Millionen Kinder, erklärte der Kinderschutzbund.
Im Alltag der betroffenen Familien wirkt sich die Geldknappheit zum Teil fatal aus: Laut dem Forschungsinstitut für Kinderernährung sieht der Gesetzgeber für Essen und Trinken von Kindern unter 14 Jahren nur knapp 2,60 Euro täglich vor, für Jugendliche über 14 nur 3,40. "Damit lässt sich nach unseren Erkenntnissen eine ausgewogene Ernährung nicht realisieren", sagte Mathilde Kersting, die Vizechefin des Instituts. Selbst wer nur beim Discounter kaufe, müsse im Schnitt gut 4,50 Euro täglich hinblättern, um einen Teenager gesund zu ernähren. Die Folgen sind bekannt: Kinder aus niedrigen sozialen Schichten leiden heute zwei- bis dreimal so häufig unter Fettleibigkeit wie Altersgenossen aus bessergestellten Familien. Die Empfehlung der Ernährungsforscher ist die gleiche wie die der Armutskonferenz: die Anhebung der Regelsätze.
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