Bergetappen bei der Tour de France: Schüchterner Bergfex
Trotz Sturzblessuren möchte ein gereifter Emanuel Buchmann die besten Radprofis bei der Tour de France herausfordern. In guter Form ist er.
So eine Pandemie kann auch Vorteile bringen. Der Mund-Nasen-Schutz, den die Tour-de-France-Fahrer gleich nach der Zielankunft über ihre schnaufenden Gesichtsöffnungen ziehen müssen, scheint wie gemacht für Emanuel Buchmann. Denn in seinen mittlerweile sechs Profijahren hat man den Ravensburger Tischlersohn noch nie so lange Sätze reden hören wie jetzt unter dem Schutz der Maske.
Aus den knappen Auskünften über den Rennverlauf und die eigenen Befindlichkeiten – wahlweise „Die Beine waren heute gut“ oder „Die Beine waren heute nicht so gut“ – sind mittlerweile regelrechte Analysen geworden. „Ich bin heute deutlich zufriedener und habe mich gut gefühlt. Wir sind nicht Vollgas gefahren und Max war durchgehend an meiner Seite, das hatte ja bei der letzten Bergankunft auch gefehlt, dass jemand da war.
Das war ein guter Schritt heute“, sagte er nach der Bergetappe hoch zum Mont Aigoual am Donnerstag. Buchmann nahm dabei nicht nur auf seine eigene Form Bezug – es ging besser als noch bei der ersten Bergankunft am Dienstag –, er bewertete auch die Arbeit des eigenen Rennstalls.
Intern habe er dies schon länger gemacht, versicherte der Chef von Bora-hansgrohe, Ralph Denk, der taz bereits im letzten Jahr. Da hatte Buchmann sogar deutlich stärkere Berghelfer für die nächsten Toureditionen gefordert. Inzwischen verteilt er Lob und Tadel für die Mitarbeiter auch öffentlich. Dass Teamkollege Max Schachmann ihn auf dem letzten Berg begleitete, hob er daher hervor.
Sturz vor der Tour de France
Was er nicht erwähnte, was er entweder an Wissen voraussetzte oder in seiner üblichen Bescheidenheit eben nicht für erwähnenswert hielt, war, dass es schon an ein mittleres Wunder grenzte, dass ausgerechnet er und Schachmann in der Gruppe der großen Tourfavoriten über die Berge rollen. Denn beide waren kurz vor der Tour gestürzt.
Schachmann brach sich bei einem Zusammenprall mit einem Auto auf den letzten Kilometern des Klassikermonuments Il Lombardia das Schlüsselbein. Buchmann nahm Abschürfungen und Prellungen vom Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt mit in die erste Tourwoche. Neben den Verletzungen, die Kopf und Körper beeinträchtigten, mussten beide auch im Training kürzertreten. Statt Feinschliff an der Form vor der Tour waren größere Reparaturarbeiten am Arbeitsmittel Sportlerkörper angesagt.
Aber jetzt sind sie vorn mit dabei. Buchmann musste lediglich neun Sekunden Zeitverlust bei der Jagd hoch zur Skistation Orcieres-Merlette in Kauf nehmen, an jenem Tage, als er keinen Teamgefährten bei sich hatte, der ihm etwas Windschatten, den letzten Energiedrink oder zumindest den letzten Rest moralischer Unterstützung hätte geben können.
Profiteur der Corona-Regeln
Diese neun Sekunden liegen im modifizierten Tourplan des 27-Jährigen. Ursprünglich sollte er zwar als Schatten von Titelverteidiger Egan Bernal über die ersten Berge fahren. So war ihm das bereits 2019 geglückt. In diesem Jahr hatte er daran gearbeitet, in entscheidenden Momenten auch einmal aus dem Schatten herauszutreten und angreifen zu können.
„Wir haben an Emanuels Explosivität gearbeitet“, sagte dessen Trainer Dan Lorang der taz. Aber der Sturz kurz vor Tourstart versetzte den Ambitionen einen Dämpfer. Dass Buchmann, im letzten Jahr Tourvierter, mit all seinen Blessuren überhaupt in Nizza antreten konnte, war bereits enorm. Und obwohl eine Tour de France nicht mit einem Reha-Zentrum zu vergleichen ist, klingen die Beschwerden dennoch ab. Die gute Form, die Buchmann sich zuvor erarbeitet hatte, scheint immer stärker durch. Auch da mag ihm die Coronavirus-Pandemie zugute gekommen sein.
Im Gegensatz zu manchen Rivalen, die in Spanien, Kolumbien, Italien, Monaco oder Frankreich eine Zeit lang nicht unter freiem Himmel trainieren konnten, durfte der gebürtige Ravensburger jeden Tag raus. Und weil er einer ist, der sich auch lieber gern allein schindet als in der Gruppe, störten ihn die einsamen Runden nicht. Er trieb das Alleinefahren derart auf die Spitze, dass er eine zwischenzeitliche Everesting-Bestmarke setzte. Die 8.848 Höhenmeter des Himalayagipfels bezwang er im Training auf den Höhenzügen rings um das Ötztal in Österreich in sieben Stunden und 28 Minuten – ein Beleg für besondere Quälqualitäten.
Den aber wohl größten Sprung machte Buchmann mental. Er strahlt jetzt die Überzeugung aus, es aufs Podium der Tour schaffen zu können. Für ihn wird es auch immer selbstverständlicher, sein Team als Waffe im Kampf um Sekunden in den Anstiegen einzusetzen. Gespannt darf man deshalb auf die beiden Pyrenäenetappen am Wochenende sein. Kann Buchmann dort mehr als nur mithalten und sein Team jene Tempoarbeit verrichten, um genau den Rhythmus vorzugeben, den der Leader auch braucht? Das wäre der nächste Entwicklungsschritt.
Emanuel Buchmann, der eher schüchterne Ausdauerathlet, blickt jedenfalls voller Vorfreude auf die nächsten Tage. „Es sollte jeden Tag besser werden, da bin ich optimistisch. Ich freue mich schon auf die richtigen Bergetappen“, war trotz der Maske zu vernehmen.
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