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Archiv-Artikel

Bergarbeiterkomödie auf Zechengelände

Die Initiative „Work in Progress“ zeigt in verschiedenen Städten Filme zum Thema „Arbeit im 21. Jahrhundert“. Dabei werden Arbeitsnomaden aus der Dritten Welt ebenso gezeigt wie die digitale Bohème oder der queer-feministische Blick

Meistens gehen wir ja ins Kino, um der Arbeit zu entfliehen. Die Spielfilme bieten imaginäre Gegenentwürfe zu den Arbeitswelten, in denen die meisten von uns mehr oder weniger mühsam ihr Geld verdienen. Aber von Beginn an bot das Kino auch Bilder von der Arbeit. Auf dem ersten Film der Brüder Lumière sieht man die „Arbeiter der Fabrik Lumière beim Verlassen der Fabrik in Lyon“ – so der Titel, der gleichzeitig Inhaltsangabe war.

Solche Begegnungen mit dem eigenen Alltag will die Initiative „Work in Progress“ fördern. Bei dem Projekt arbeiten die Kulturstiftung des Bundes mit ihrem Programm „Arbeit in Zukunft“ und der Verein „Freunde der Deutschen Kinemathek“ zusammen. In ganz Deutschland wurden kommunale Kinos, Medienbüros, Kulturvereine und einzelne Kinobetreiber eingeladen, für ihre Städte Konzepte für Filmreihen und Veranstaltungen zu erstellen, deren thematischer Schwerpunkt die Arbeitsprozesse im 21. Jahrhundert bilden sollten.

Von 75 Antragstellern wurden 40 ausgewählt, die mit einer angenehmen Polsterung durch Fördermittel jeweils ein eigenes Programm organisieren können. In Hamburg etwa bekam das Internationale Kurzfilmfestival den Zuschlag. Zwischen dem 6. und 10. Juni wird es einige Programme mit Kurzfilmen zum Thema zusammenstellen. In Hannover wurde das Kino am Raschplatz ausgewählt, in Bremen das Kino 46, in Braunschweig das Kulturinstitut „Die Brücke“, in Oldenburg das Medienbüro und in Osnabrück die Film- und Bildungsinitiative.

Weder inhaltlich noch terminlich gab es Vorgaben, und so werden zwischen März und August diesen Jahres immer wieder einzelne Veranstaltungen in verschiedenen Städten stattfinden. Im Kino im Sprengel in Hannover wird am 22. und 23. März die deutsche Premiere des französischen Films „Attention Danger Travial“ („Vorsicht Arbeit“) von Pierre Carles stattfinden. Zum Abschluss ist dort im Juli eine Open-Air-Veranstaltung mit „À nous la Liberté“ von René Clair geplant – der Film, der Charles Chaplin zu seinen „Modern Times“ inspirierte.

Die einzelnen Veranstaltungsreihen sind sehr unterschiedlich in Umfang und Inhalt. Das Programm in Oldenburg wird im engen Cine K stattfinden, in das kaum mehr als 50 ZuschauerInnen hineinpassen. Diese werden zwischen dem 13. und 23. Juni in dem Projekt „Queering Work“ aus einer „queer-feministischen Perspektive auf die Arbeitsverhältnisse“ blicken, wie es in der Ankündigung heißt.

In Bremen gibt es mit den Erstaufführungen der Filme “Molly’s Way“ von Emily Atef und „Struggle“ von Ruth Mader in dieser und der nächsten Woche einen Schwerpunkt mit Blick auf die modernen Nomaden, also jene, die aus ärmeren Ländern oft illegal in die Industriestaaten reisen, um dort Arbeit zu finden. Am 20. März gibt es als Kontrastprogramm dazu im Kultursaal der Bremer Arbeiterkammer eine Gesprächsrunde zum Thema „Digitale Nomaden“, in der Angehörige der digitalen Bohème, also Journalisten, Schriftsteller und Weblog-Betreiber über ihre Arbeitsbedingungen berichten.

Zu den originellsten und spannendsten Programmen zählt jenes der Film- und Bildungsinitiative in Osnabrück, denn diese machte aus der Not, dass sie keine feste Spielstätte hat, eine Tugend. Zwischen Juli und August geht sie mit den Filmen an die Arbeitsstätten: Sie zeigt die englische Sozialkomödie „Brassed Off“ über eine Bergarbeitergemeinde auf einem Zechengelände. Ken Loachs Drama „The Navigators“ über Gleisarbeiter, die unter der Privatisierung der britischen Bahn leiden, ist auf dem Betriebshof der Nord-Westbahn zu sehen. Und Michael Glawoggers bildermächtiger Dokumentarfilm „Workingman’s Death“ über das Verschwinden der körperlichen Arbeit wird in einem Steinbruch projiziert. Besser kann man das merkwürdige Verhältnis zwischen Kino und Arbeit kaum auf den Punkt bringen. WILFRIED HIPPEN