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Berber im Generalstreik

Aktionstag in der algerischen Kabylei: Demonstranten blockieren die Kasernen der Gendarmerie. Doch die Bewegung ist gespalten. Eine Minderheit verhandelt mit der Regierung in Algier

von REINER WANDLER

In den algerischen Berbergebieten ist gestern das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen. Die Koordination der Dörfer und Stämme (Aarch) hatte zu einem Generalstreik aufgerufen. In der größten kabylischen Stadt Tizi Ouzou setzte die Polizei Tränengas gegen tausende Demonstranten ein, die hier wie auch in anderen Orten die Kasernen der Gendarmerie belagerten. Es kam zu Straßenschlachten.

„Wir wollten einen friedlichen Sitzstreik veranstalten, aber die Polizei hat uns provoziert“, sagte ein Anführer der Protestler. Durch die Straßen der Kabylei hallten Rufe wie „Kein Pardon“ und „Mörderregime“. Überall blieben Geschäfte und Betriebe geschlossen.

An normalen Tagen trauen sich die Gendarmen, die für die meisten der Toten und Verletzten der letzten Monate verantwortlich sind, in der Kabylei kaum mehr auf die Straße. Sie laufen Gefahr, von wütenden Jugendlichen regelrecht gelyncht zu werden. Täglich kommt es irgendwo zu Unruhen. „Selbstverteidigung“ nennt dies Youcef Berkani, einer der Sprecher der ständigen Vertretung der Aarch.

Doch die Vertreter der algerischen Berber sind gespalten: Am Abend des Streiktages traf sich eine Gruppe von 30 Delegierten mit dem algerischen Regierungschef Ali Benflis in Algier.

„Die Gespräche sind notwendig, um ein besseres Algerien zu schaffen“, verteidigte Salim Alilouche den Gang in die Hauptstadt. Bereits am 3. Oktober hatte er eine Gruppe von Delegierten angeführt, die sich mit Benflis trafen. Der Dialog soll die angespannte Lage nach den Protesten vom Frühsommer deeskalieren.

Die Unruhen waren ausgebrochen, nachdem die Gendarmerie im April einen Gymnasiasten verhaftet und auf der Wache erschossen hatte. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei bestimmen bis heute das Bild in der Kabylei. Doch obwohl Regierungschef Benflis gegenüber den Delegierten in Aussicht stellte, die Berbersprache neben dem Arabischen zur zweiten nationalen Sprache zu erklären, reißen die Proteste nicht ab.

„Es gibt nichts zu verhandeln“, begründet Aarch-Vertreter Berkani die neuen Mobilisierungen. Die Berberbevölkerung hört auf die Aarch. Die jahrhundertealte Struktur der Kabylen ist die einzige Institution, die in den Bergen um Tizi Ouzou und Bejaia noch Ansehen genießt.

„Verräter ohne jegliche Legitimation“, schimpft Berkani über die Gruppe um Alilouche. Auf Plakaten wurden die Namen der „Dialogisten“ veröffentlicht und zu ihrer „sozialen Isolierung“ aufgerufen. Die Mehrheit der Berbervertreter hat auf den letzten Treffen beschlossen, dass erst dann die Normalität in die Kabylei zurückkehrt, wenn die Regierung ihre 15 Forderungen, die nach dem Ausbruch der Unruhen im Frühsommer aufgestellt wurden, uneingeschränkt akzeptiert: Neben der Anerkennung der Berbersprache als Amtssprache und der eigenen Kultur geht es vor allem um eine staatliche Unterstützung der zahlreichen Opfer der Polizeieinsätze. Knapp 100 meist Jugendliche starben, über 2.000 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Außerdem wird ein sozioökonomischer Dringlichkeitsplan gefordert, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Jetzt will die Aarch den Druck noch verstärken. An diesem Wochenende wird die interprovinzielle Koordination über weitere Aktionen beraten. Außerdem wird darüber beraten, ob zum Boykott der Parlaments- und Regionalwahlen im nächsten Jahr aufgerufen werden soll.

An dem Treffen nehmen erstmals Beobachter aus Provinzen außerhalb der Kabylei teil. Unter anderem reisen sie aus Bab el-Oued an, dem Stadtteil in Algier, der vor knapp vier Wochen von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht wurde. Die Berberjugend und die Aarch haben sich vor allem mit ihren Parolen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Korruption auch über die Grenzen der Region hinaus Sympathie verschafft. In Bab el-Oued sind ein Teil der internationalen Hilfsgüter ganz einfach auf dem Schwarzmarkt verschwunden.

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