■ Beradelte Freunde und Helfer in der Hamburger Innenstadt: Streifenhörnchen auf Drahteseln
Hamburg, Grindelallee, mitten im Univiertel. Der verkehrsreichste Fahrradweg der Hansestadt ist nur etwa einen Meter breit, die Hälfte davon ist von Autos zugeparkt oder von Rädern zugestellt. Alle zwei Minuten passiert ein Fahrradkurier im Affentempo das „Moderne Antiquariat“ der Heinrich-Heine-Buchhandlung, Fußgänger springen zur Seite, Mütter zerren ihre Kinder rettend hinter die auf dem Gehweg aufgebauten Büchertische.
Dieses Bild soll nun demnächst der Vergangenheit angehören. Seit vier Monaten sorgen Polizisten auf Fahrrädern für Recht und Ordnung. Das Projekt „Fahrradstaffel“ ist ein vorläufig auf fünf Monate begrenzter Versuch der Hamburger Polizeidirektion Mitte, denn die Hälfte aller Unfälle wird hier von Radfahrern verursacht. Weniger durch klassisches Schutzmanngehabe als durch positiven Einfluß auf Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer soll so für Verständnis und gegenseitige Rücksichtnahme geworben werden. Eingegriffen wird erst, „wenn zum Beispiel einer bei Dunkelrot über die Ampel rast“.
Zwei Exemplare der berittenen Drahteselbeamten entdecke ich am Dammtorbahnhof. Hier verlassen zwischen zehn und elf Uhr früh mehrere tausend Studenten S- Bahnen und Busse und überqueren den auch hier schmalen Radweg, auf dem zu dieser Stunde Hunderte von Radfahrern in Richtung Uni unterwegs sind.
In hautengen Radlershorts und Trikots, hochgeschnürten Spezialschuhen und aerodynamischen Helmen stellen die radelnden Bullen einen rasenden Radler, dessen Outfit sich kaum von dem ihren unterscheidet. Sie tragen weder Waffe noch Knüppel, weder Schirmmütze noch Uniform mit Schulterklappen – unaufdringlich olivgrün gewandet, verraten nur ihre Funkgeräte und Dienstausweise dem Bürger, mit wem er es zu tun hat.
Der rücksichtslose Mountainbiker wird höflich auf die Regeln der StVO hingewiesen, ohne daß weitere Maßnahmen folgen. Man trägt nicht nur gleiche Klamotten, man zieht als Radfahrer ja auch an einem Strang: „Abgelaufene Parkuhren interessieren uns nicht. Das ist Sache der Kollegen und Kolleginnen auf Schusters Rappen. Wer aber Radwege so zuparkt, daß Radfahrer absteigen müssen, der wird zur Kasse gebeten“, gesteht ein Beamter seine Parteilichkeit.
Polizisten als wahre Freunde und Helfer, und zwar ausgerechnet der Radfahrer, ausgerechnet in Hamburg, der Stadt der Polizeiskandale? Es soll noch weitergehen: Wenn das Projekt denn erfolgreich verläuft, sollen die Fahrradstaffeln in allen Bereichen der polizeilichen Arbeit eingesetzt werden, sozusagen als Streifenhörchen auf Alurössern.
Zurück zum Grindel. Zwei Polizisten auf Diensträdern stoppen einen dieser rücksichtslosen Kuriere. Ein Polizist versucht, mit einer Hand sein Fahrrad am Lenker festzuhalten und Personaldaten auf einem amtlichen Formblatt aufzuzeichnen. Das kann nur schiefgehen, denn er braucht eine zweite Hand zum Festhalten des Formulars und eine dritte zum Schreiben. Weil diese fehlt, stellt er das Fahrrad ab, um zur Amtshandlung schreiten zu können. Jetzt hat er zwar beide Hände frei, muß aber das unabgeschlossene Fahrrad im Auge behalten. Mehrmals wandert sein Blick zwischen Dienstrad, dem offensichtlichen Verkehrssünder und dem Protokollformular hin und her.
Es ist die Art von Unruhe, die jeder kennt, der sein Fahrrad in einer belebten Innenstadt kurz abstellen muß. Abschließen für eine Minute lohnt nicht, doch die Minute will schier nicht enden, wenn sich die Furcht vor dreisten Dieben einstellt. Bei dem Mann von der Fahrradstaffel wirkt dieses Erlebnis offenbar solidaritätsstiftend, denn auch er beläßt es schließlich bei einer eher freundschaftlichen Verwarnung.
Mein Polizistenbild wankt. Die Angleichung des Jägers an die Gejagten hat etwas Anbiederndes. Autorität beruht schließlich auf Abgrenzung, nicht auf Anbiederung. Bulle bleibt Bulle, und es ist für alle Seiten angenehmer, wenn man ihm das auch ansieht.
Deshalb: zurück zu Uniformen mit Schulterklappen, Autos mit Blaulicht, Helmen, Pistolen und Knüppeln, damit Selbstbild und Feindbild nicht durcheinanderpurzeln und – je nach dem – schön eindeutige Gefühle wie Respekt, Furcht oder Haß erhalten bleiben. Joachim Frisch
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