Beobachtung von Linke-Politiker: Innenminister vergleicht Linke mit NPD
Die Justizministerin kritisiert die Beobachtung von Abgeordneten als "unerträglich". Der Innenminister dagegen verteidigt die Aktion - mit einem fragwürdigen Vergleich.
BERLIN taz | Wegen der Beobachtung von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz gibt es Streit in der Koalition. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der Süddeutschen Zeitung, sie fände es "unerträglich", wenn "Bundestagsmitglieder bis hin zur Bundestagsvizepräsidentin überwacht werden". Sie forderte den Verfassungsschutz auf, nach der Pannenserie bei den Ermittlungen zu den Neonazimorden seine Schwerpunkte zu überdenken.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hingegen verteidigte im ZDF nicht nur die Arbeit des Geheimdienstes mit den Worten, wenn die Überwachung der Linke-Fraktionsspitze nicht mehr akzeptiert würde, "dann müsste ich ja sofort auch die Beobachtung der NPD-Spitzenfunktionäre einstellen". Er watschte auch seine Kabinettskollegin ab: die Forderungen der Justizministerin fände er "einigermaßen abwegig".
Der Geheimdienst beobachtet 27 der 76 Linke-Bundestagsabgeordneten, darunter Gregor Gysi, Petra Pau und Sahra Wagenknecht. Wagenknecht hält es für einen "absoluten Skandal", dass der Verfassungsschutz "mit Banditen und Nazis" zusammenarbeitet, "nicht in der Lage ist, Mordserien zu verhindern, aber Kapazitäten einsetzt, um demokratische Politiker der Linken zu bespitzeln". Ihre Fraktion hat eine aktuelle Stunde beantragt, laut Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann ist diese für den Donnerstagmittag vorgesehen.
Am Montag hatte Gysi sich in einem Brief an den Bundespräsidenten, die Kanzlerin und den Bundestagspräsidenten gewandt. Darin ersucht der Fraktionschef Wulff, Merkel und Lammert, "das in Ihren Ämtern Mögliche zu tun", um die Überwachung "unverzüglich und vollständig einstellen zu lassen". Der Bundestag habe die Funktion, "die Tätigkeit der Geheimdienste in Deutschland zu kontrollieren. Die Tatsache, dass ein Geheimdienst diese Funktion umdreht und meint, selbst Abgeordnete überwachen zu dürfen, ist nicht hinnehmbar."
Unterdessen wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz auch CDU- und SPD-Abgeordnete ins Visier genommen hat. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen vom Oktober 2009 hervor. Insgesamt ergab eine Auswertung zwischen 1980 und 2009 Hinweise auf vierzig Abgeordnete, dreißig von ihnen im Zusammenhang mit der Linkspartei beziehungsweise der PDS. Zu Abgeordneten der Grünen und der FDP finden sich keine Angaben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin