piwik no script img

Bellizismus hilft nicht weiter

■ betr.: "In Bosnien hilft Pazifismus nicht weiter", taz vom 8.9.92

betr.: „In Bosnien hilft Pazifismus nicht weiter“ von Jürgen Maier, taz vom 8.9.92

[...] Es gibt kaum etwas Widerlicheres, als wenn vorgeblich grün-friedensbewegte Politiker sich in strategischen Sandkastenspielen üben („auf die starke verbunkerte serbische Kommandozentrale nördlich von Sarajevo, auf sämtliche bekannten Munitionslager in serbisch kontrollierten Zonen Bosniens und in Serbien selbst [Jürgen Maier wird sie kennen; sollte es Zivilisten treffen: auch nicht schlimm; es sind ja nur Serben!]“ usw.). Da hat der Jürgen Maier ja tüchtig von „der größten Friedensbewegung der BRD“, der Bundeswehr (Slogan aus der Zeit des Nato-Doppelbeschlusses), gelernt, und die taz druckt's ab. Dr.Lothar Zieske, Hamburg

Lieber Jürgen Maier,

Respekt, Du hast auch meine bewußten Gedanken, Gefühle und Intuitionen auf den Punkt gebracht. Das war der bisher beste und ausgewogenste Beitrag zum Balkankonflikt — die Lösung des „gordischen Knotens“.

Was Ludger Volmer nur angedeutet hat, die Konsequenzen wie viele andere aber scheut, zeigt das Di- Lemma, das heißt das innere Dogma dieses „Entweder — oder“ auf, diese innere Begriffs- und Gefühlsverwirrung in der sich große Teile der bewußten und mitfühlenden Menschen befinden. Wir sollten hier anknüpfen.

Ich hoffe, daß auch die Grünen diesen Weg mitgehen, denn: Leben heißt Veränderung, als Lebewesen sind wir ein offenes System und können nur im Austausch mit der Umwelt im „Du“ existieren — ein Dogma oder Gesetz ist absolut und unmenschlich. Es tötet nicht nur unsere Freiheit. Andreas Unser,

Buch/Ammersee

[...] Bereits die Länderrats-Resolution zu Jugoslawien vom Juni beinhaltet den irrationalen Rückgriff auf das vermeintlich schnellwirksame Patentrezept militärischer Mittel. Jürgen Maiers Artikel mit Forderungen nach Bombardements in besiedeltem Gebiet setzt dem die Krone auf. Wurde denn nicht schon ausreichend belegt, daß ein Militäreinsatz in Jugoslawien keines der vorhandenen Probleme löst, dafür aber vielfältige Eskalationsrisiken in sich birgt? Wenn militärische Mittel tatsächlich einmal mehr nutzen als schaden ( beispielsweise zwischen den Fronten der von Vernichtung bedrohten Kurden im Nordirak und Saddams Truppen), sollte dies durch Einsatzkräfte einer demokratisierten Völkergemeinschaft, nicht durch die US-Army oder die Bundeswehr geschehen. Und selbst das beantwortet nicht die Frage, wen die Grünen, die entweder den „Dienst mit der Waffe“ mehrheitlich verweigert haben oder ihn als Frauen gar nicht ableisten müssen, denn zum Töten und Getötetwerden losschicken wollen. Hat jemand bedacht, daß die losgetretene Debatte auch die gesamte KDV-Arbeit unterminiert? [...] Angelika Hirschmüller, Berlin

Es ist ziemlich erstaunlich bis erschreckend, wie sehr sich die Grünen in den letzten Wochen zum Thema Jugoslawien und UNO-Militäreinsatz genau wie die SPD eine völlig verquere Diskussion aufdrängen lassen. [...]

Die Debatte muß endlich vom Kopf auf die Füße: Seit weit über einem Jahr fordern gerade Pazifisten, Friedensgruppen usw. endlich ein wirksames, kontrolliertes Embargo gegen „Rest-Jugoslawien“ umzusetzen. Statt dessen ist dies seitdem immer wieder nur beschlossen und verkündet worden, ganz bewußt aber nie überwacht; denn das täte ja den Beschließern weh. Wäre aber vor einem Jahr auf die naiven Pazifisten gehört worden, hätte Serbien heute eben nicht mehr die nötigen Kriegsmittel, angefangen beim Öl, hätte man damals verhindern können, daß es heute noch einen mörderischen Krieg, furchtbare Lager und Völkermord gibt. [...]

Pazifisten können in der akuten Situation tatsächlich nicht schnell weiterhelfen, sondern nur mittelfristige Maßnahmen fordern. Das Elend der Bosnier, Kroaten, Serben(!) usw. in den Lagern ist unmöglich schnell zu beenden (auch militärisch nicht). Daß man sich damit heute abfinden muß, ist aber kein Problem des Pazifismus, sondern das Problem, daß es vor einem Jahr zu wenig Pazifisten gab. Und es scheinen ja immer weniger zu werden. Ralf Südhoff, Mitglied des Kreisvorstandese der Grünen/ GAL, Hamburg-Altona

[...] Jürgen Maier nennt fünf Argumente gegen eine Militärintervention — das eine, das für PazfistInnen wichtigste, kommt nicht vor: Es ist niemals legitim, Menschen massenhaft zu töten — auch nicht für ein politisch sinnvolles und erstrebenswertes Ziel.

Das bedeutet nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen und zuschauen: Wir fordern die Durchsetzung des Embargos und jede geeignete Form von politischem und wirtschaftlichem Druck auf Montenegro und Serbien — verbunden mit Unterstützung der serbischen, bosnischen und kroatischen Friedensbewegung, internationaler Präsenz vor Ort, Hilfslieferungen, der Aufnahme von erheblich mehr Flüchtlingen in Deutschland. Mag sein, daß dies alles nicht reicht, die Entstehung eines „neuen Palästinenserproblems mitten in Europa“ zu verhindern. Es gibt Situationen, in denen man ohne Gewalt nicht weiterkommt — aber mit Gewalt eben auch nicht (es sei denn, man kümmert sich nicht um den Preis). Uli Beer-Bercher,

DFG-VK Landesverband

Baden-Württemberg

[...] Von Jürgen Maier kann mensch lernen. Zum Beispiel über Genauigkeit in der Argumentation. Schon glänzend, wie er das macht: „Alle Welt, von der USA bis zum Iran ist sich einig in der Verurteilung des serbischen Angriffskrieges.“ Das waren ja schon immer unsere wichtigsten Vorbilder und Maßstäbe: Die USA und der Iran, die einen Experten in Sachen weltweiter Militäreinsätze, die anderen für Menschenrechte. Und daß es dazwischen ein paar kleinere Staaten gibt — Griechenland zum Beispiel (vgl. taz vom selben Tage, Seite 7), Rumänien oder Rußland, die durchaus Sympathien für Serbien hegen (aus äußerst unguten Gründen), das übergehen wir flott. Die werden sich schon nicht einmischen, da brauchen wir nachher keine Eskalation der Kämpfe zu befürchten, wenn wir intervenieren. Vor allem müssen wir darüber nicht reden — es könnte ja jemanden beunruhigen.

Oder die berühmte und beliebte „bewaffnete Notwehr“, Lieblingsbegriff aller Jugendoffiziere und KDV-Prüfungsausschuß-Vorsitzender. Wer bereit ist, sein Leben oder das eines Kindes zu schützen, der darf auch nicht gegen den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima sein: Schließlich hatte Japan die USA angegriffen, klarer Fall von Notwehr also. Nein? Soweit wollte Jürgen Maier nicht gehen? Keine Atombombe? Nur konventionelle Luftangriffe auf Kommandostäbe, Luftwaffenstützpunkte, Fernsehsender, Nachschublinien? Ah so. Das wird die Bevölkerung in Belgrad sehr beruhigen, daß sie nur konventionell ermordet wird im Zuge der bewaffneten Notwehr — besonders die, die neben dem Fernsehsender wohnen.

Es gibt ja auch kein anderes Mittel, meint Jürgen Maier. Wirtschaftliche Sanktionen? Haben wir zwar noch nicht so recht probiert, weil Griechenland und Rumänien nicht wollten, aber ist ja eh alles „faktisch wirkungslos“. Und wenn schon wirkungslose Mittel, dann wenigstens solche, die auch die USA und der Iran bevorzugen — denn daß seine militärische Intervention den Krieg beendet, das glaubt er ja selbst nicht („...insofern können militärische Maßnahmen gegen Serbien ihn natürlich auch nicht beenden...“).

Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Am traurigsten ist der Schluß: Jürgen Maier befürchtet, daß der grundsätzliche Pazifismus den Widerstand gegen „imperialistische Angriffskriege à la Golfkrieg“ schwächt, und empfiehlt als Gegenmittel seinen gesunden Bellizismus. Jetzt wissen wir endlich, warum wir den Golfkrieg nicht verhindern konnten: Wir hätte einfach eine militärische Intervention fordern müssen. Und Schnaps hilft gegen Alkoholismus, und Steine gegen Hunger und Krebs gegen Krankheit. Michael Marder, Karlsruhe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen