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Beiträge zur sozialen PflegeversicherungKarlsruhe hilft kinderreichen Familien

Kinderreiche müssen geringere Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen als Eltern mit weniger Nachwuchs, sagt das Bundesverfassungsgericht.

Die Beiträge in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung seien nicht zu beanstanden Foto: dpa

Karlsruhe taz | Die Beiträge zur Pflegeversicherung müssen demnächst nach der Kinderzahl gestaffelt werden. Spätestens ab dem 1. August 2023 werden kinderreiche Familien weniger Beitrag zahlen als kinderarme Familien und kinderlose Versicherte. Das entschied nun das Bundesverfassungsgericht in einem lange erwarteten Grundsatzbeschluss. Dagegen halten die Rich­te­r:in­nen eine Differenzierung bei den Beiträgen zur Renten- und Krankenversicherung nicht für erforderlich.

Schon seit Jahrzehnten wird von Familienverbänden eine Reform der Sozialversicherung gefordert. Das Argument: Menschen, die Kinder aufziehen, müssten entlastet werden, weil sie derzeit doppelt zur Versicherung beitragen: zum einen durch ihre monatlichen finanziellen Beiträge, zum anderen durch den „generativen Beitrag“, indem sie künftige Beitragszahler großziehen.

In einer damals sensationellen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001 diese Argumentation grundsätzlich anerkannt. In der Pflegeversicherung müssen Kinderlose seither etwas höhere Beiträge zahlen als Versicherte mit Kindern. Derzeit beträgt der Kinderlosen-Zuschlag 0,35 Prozentpunkte. Für die Renten- und Krankenversicherung hatte Karlsruhe den Gesetzgeber damals zur Prüfung verpflichtet. Dieser sah aber keinen Grund zur Differenzierung.

Seitdem organisiert der Familienbund der Katholiken (FDK) Klagen, die vor allem auf eine Besserstellung der Familien bei den Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung zielen, weil es dort um deutlich höhere Summen geht. So betragen die Beiträge zur Rentenversicherung 18,6 Prozent des Bruttogehalts, zur Krankenversicherung 14,6 Prozent und zur Pflegeversicherung nur 3,05 Prozent (Kinderlose: 3,4 Prozent). Die Hälfte dieser Beiträge zahlt der Arbeitgeber. Wobei der Kinderlosenzuschlag von 0,35 Prozent für die Pflegeversicherung vom Arbeitnehmer allein entrichtet werden muss.

Drei Beschwerden des katholischen Familienbundes

Das Bundesverfassungsgericht veröffentlichte an diesem Mittwoch nun einen Beschluss zu drei exemplarischen Verfassungsbeschwerden und einer Vorlage des Sozialgerichts Freiburg, die überwiegend auf die Kampagne des FDK zurückgehen.

Erfolg hatten die Klagen nur bei der Pflegeversicherung. Anders als noch 2001 forderten die Richter diesmal nicht nur eine Differenzierung zwischen Familien und Kinderlosen, sondern auch innerhalb der Familien. Die Rich­te­r:in­nen betonten zunächst, dass Familien zusätzliche Lasten tragen, indem sie mehr Ausgaben und oft auch weniger Einnahmen haben, insbesondere wenn ein Elternteil ganz oder teilweise auf Erwerbsarbeit verzichtet. Die Kosten seien jedoch bei Familien mit zwei und mehr Kindern deutlich höher als bei Familien mit nur einem Kind.

Wenn alle Eltern bei den Beiträgen zur Sozialversicherung gleich behandelt werden, verstoße dies gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes, so die Richter:innen. Laut Mikrozensus 2019 haben 50,7 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern nur ein Kind. Die andere Hälfte der Familien hat zwei Kinder (27,4 Prozent), drei Kinder (9,2 Prozent), vier Kinder (2,1 Prozent) oder fünf und mehr Kinder (0,6 Prozent).

Rentensystem würdigt Erziehungsleistung

Bei der Rentenversicherung sei eine Differenzierung der Beiträge dagegen nicht erforderlich, so das Gericht, weil hier die Erziehungsleistung bereits anders berücksichtigt wird. So gibt es pro Kind Rentenpunkte für die ersten drei Lebensjahre eines Kindes. Eltern kommen daher mit weniger finanzieller Beitragsleistung auf die gleiche Rentenhöhe wie Kinderlose.

Auch bei der Krankenversicherung halten die Rich­te­r:in­nen eine Differenzierung nicht für geboten. Schließlich haben Familien hier auch auf der Leistungsseite einen Vorteil, weil Kinder kostenlos mitversichert sind.

Der Gesetzgeber muss nun also nur die Beitragsstruktur bei der Pflegeversicherung ändern. Wie er dies macht, bleibt weitgehend ihm überlassen, er habe dabei einen großen Gestaltungsspielraum, betont das Gericht. Der Gesetzgeber könne Beitragsätze anheben oder absenken. Er dürfe die Neuregelung auch mit Steuergeldern bezuschussen, um ein Anheben von Beiträgen zu vermeiden. Der Gesetzgeber könne die Differenzierung sogar auf die Zeit des tatsächlichen Erziehungsaufwands begrenzen (während sie derzeit noch lebenslang gilt). Die Neuregelung muss jedenfalls erst für die Zeit ab 1. August 2023 gelten. Für die Vergangenheit sei eine Rückabwicklung zu aufwändig, so die Richter:innen.

Fünf Euro weniger

Die Unterschiede für die Versicherten werden moderat bleiben. So hat die Bundesregierung im Rahmen einer Beispielsrechnung festgestellt, dass Durchschnittsverdiener pro zusätzlichem Kind monatlich knapp fünf Euro weniger Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen würden. Unterstellt wurden dabei folgende Sätze: ein Zuschlag für Kinderlose von 0,3 Prozentpunkten, ein Zuschlag für Elternteile mit einem Kind von 0,15 Prozentpunkten, den Normalbeitrag für Familien mit zwei Kindern und Beitragsrabatte von jeweils 0,15 Prozentpunkten für jedes weitere Kind.

Der Deutsche Familienverband, der auch an der Klage-Kampagne beteiligt war, betonte: „Wir haben jetzt Klarheit, dass familiengerechte Sozialversicherungsbeiträge nur auf dem politischen Wege zu erreichen sind.“ Der Familienbund der Katholiken erklärte: „Die Einführung eines Kinderfreibetrages in allen Zweigen der Sozialversicherung ist weiterhin ein wichtiges Ziel der Familienverbände.“ (Az.: 1 BvR 2824/17)

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1 Kommentar

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  • Wie unser Staat mit Eltern generell umgeht ist eine Schande.



    Mehr als eine Schande. Eine Unverschämtheit !



    Unterirdisch !



    Kein Wunder dass es in D immer weniger Eltern gibt.

    Ein ganz einfaches Beispiel:



    Pflegeeltern bekommen je Kind zwischen 1091 € und 1362 € (Stand 2021) im Monat.



    Das liegt natürlich auch noch deutlich unter dem tatsächlichen Aufwand (bei einem Kind). Aber ab drei, vier Kinder lohnt sich das schon. (immerhin 3600 bzw. 4800 € / Monat)



    Das Kindergeld für leibliche Eltern von vier Kindern liegt in Summe unter 1000 €.

    Ein weiteres Beispiel:



    Der Steuerfreibetrag für Kinder: Welch ein Betrug an den Eltern!



    Es wird nicht das Familieneinkommen durch sechs (bei vier Kindern) geteilt und dann entsprechend besteuert, sondern es wird je Kind ein mickriger Kinderfreibetrag vom Einkommen abgezogen.

    Es geht noch weiter:



    Die Lehrmittelfreiheit wird zu Gunsten großer Lehrmittelverlage und Softwarehäuser (Stichword: Office 365 Zwangslizenz) immer weiter ausgehölt und die Verantwortlichen entblöden sich nicht, das Extrageld als "Kopiergeld" zu kaschieren und natürlich bei den Eltern einzusammeln.



    Und steuerlich absetzen kann man das natürlich nicht ! (Wenn man überhaupt noch was zum Absetzen hat)

    Hab ich was vergessen ? - Dann lassen Sie doch eine Ergänzung da !

    Bei anderen Dingen ist man da viel großzügiger:

    Wenn ich den TAZ-Bericht über den vollflächigen, staatlich nach Kräften geförderten, Corona-Bürgertest-Betrug lese ( 1 000 000 000 € Schaden !!!!) kommt mir wirklich die Galle hoch.



    Den Maskenbetrug will ich jetzt gar nicht erst wieder aufwärmen ...

    Und ganz zum Schluß will ich mal darauf hinweisen, dass das Aktenzeichen aus 2018 ist - das Gericht hat also geschlagene vier Jahre an dieser Entscheidung gebrütet.

    Vier Jahre ! Chapeau! Chapeau! Chapeau! Chapeau!