Beinamputierter Staffel-Läufer bei Olympia: „Da ist Neid im Spiel“
Oscar Pistorius hat sich für das Halbfinale über 400 Meter qualifiziert. Der Deutsche David Behre rennt wie Pistorius 400 mit Prothesen - bei den Paralympics. Unfair? „Nein“, sagt Behre.
taz: Herr Behre, wie Oscar Pistorius treten Sie Ende August bei den Paralympics über 400 Meter mit Unterschenkelprothesen an. Pistorius aber ist der Erste, der mit diesem Hilfsmittel am Samstag bei den nichtgehandicapten Olympioniken mitmischt. Finden Sie das gut?
David Behre: Oscar ist den richtigen Weg gegangen. Er läuft uns paralympischen Sportlern im Moment auf den 400 Metern davon. Mit wem soll er sich denn bei uns noch messen? Außerdem haben Untersuchungen ergeben, dass er keinen Vorteil durch seine Karbonprothesen hat.
Es gab zwei Gutachten. Das erste attestierte Pistorius Vorteile. Dieser protestierte, woraufhin ein zweiter Gutachter urteilte, Vorteile und Nachteile würden sich aufheben.
Das ist nicht einfach abzuwägen, aber ein Biomechaniker von einer US-amerikanischen Universität kam auch zu dem Schluss, das sich Vorteile und Nachteile aufheben würden. Und Oscar sagt ja zu Recht: „Wenn ich einen Vorteil hätte, würden alle Doppelamputierten so schnell laufen.“
Wie schnell laufen Sie?
Der Mensch: Pistorius, dem im Alter von elf Monaten die Unterschenkel amputiert wurden, spielte zunächst Fußball, Kricket, Tennis, Wasserball und Rugby. Als er sich beim Rugby am Knie verletzte und zur Reha an die Uni seiner Heimatstadt Pretoria kam, begann er dort 2004 mit dem Laufen.
Der Läufer: Nach nur zwei Monaten Training lief der 17-Jährige die 100 Meter in 11,51 Sekunden, nur acht Monate später siegte er bei den Paralympics 2004 in Athen über 200 Meter und holte zudem im 100-Meter-Lauf Bronze. 2012 verpasste er bei den Afrikameisterschaften in Benin die Olympianorm über 400 Meter.
Der Olympionike: Für einen Startplatz bei den Spielen in London hätte er zweimal unter 45,20 Sekunden bleiben müssen, schaffte dies aber nur einmal. Dennoch wird Pistorius für die 4x400-Meter-Staffel nominiert und erhält kurz darauf auch die Starterlaubnis für das Einzelrennen. Im Vorlauf am Samstag über die 400 Meter wurde er 16. und hat sich für das Halbfinale am Sonntag qualifziert.
Ich bin der Zweitschnellste mit 51,40 Sekunden. Oscar läuft die Strecke in 45 Sekunden.
Prothesenläufer, heißt es, können mit Hilfe der Sprungfedertechnik auf dem letzten Teilstück erheblich zulegen.
Ja, aber in der Startphase verliert ein amputierter Sprinter deutlich. Er muss erst Kraft in die Prothesen geben, damit da auch wieder was rauskommt.
Haben Sie weitere Nachteile?
Nicht wirklich. Die Kurven kosten ganz viel Kraft, weil wir das Sprunggelenk nicht in der Kurve drehen können. Wir müssen viel mit der Hüfte arbeiten.
Viele stören sich dennoch am Start von Pistorius. Stefan Poser, der Trainer der deutschen 400-Meter-Läufer, spricht von „ein bisschen Wettbewerbsverzerrung“.
Man muss da vorsichtig mit seinen Urteilen sein. Rein rechtlich darf Oscar an den Spielen teilnehmen. Das ist das Entscheidende.
Können Sie sich die Bedenken erklären?
Nicht wirklich. Es ist mal so, dass Oscar jeden deutschen 400-Meter-Läufer schlagen würde und schlägt. Keine Ahnung, ob da Neid im Spiel ist. Ich laufe auch auf Sportfesten gegen Nichtbehinderte und habe da nur positive Erfahrungen gemacht. Vermutlich wird es anders, wenn man sie deklassiert.
Durch die Weiterentwicklung der Prothesentechnologie werden Sie unabhängig vom Training aber schneller.
Erst einmal muss man sehen, welch harter und steiniger Weg, der mit viel Schmerzen verbunden ist, hinter uns liegt. Der Stumpf ist es nicht gewohnt, dass auf dem Bein eine so große Druckbelastung ist. In der höchsten Sprintphase muss ich eine Tonne an Kraft in die Feder reingeben, und die Tonne kommt auch wieder heraus. Das muss die Muskulatur erst einmal abfangen können. Aber mit Hilfe der Technik sind wir in zwanzig Jahren auf 400 Meter möglicherweise schneller als Nichtbehinderte.
Würden Sie sich dann wieder für getrennte Wettbewerbe aussprechen?
Sicher, wenn die Techniker sagen: „Jungs, jetzt habt ihr einen Vorteil“, muss man reagieren.
Gibt es unter paralympischen Sportlern Vorbehalte gegen dem Pionier Pistorius?
Allgemein wird das positiv gesehen. Er ist ein Vorreiter. Er hilft auch uns anderen Sportlern, in den Vordergrund zu kommen. Ich erhalte jetzt viel mehr Presseanfragen.
Käme der Weg von Pistorius auch für Sie in Frage?
Wenn ich einmal so schnell werden sollte, wäre ich auch gerne bei den Nichtbehinderten dabei. Ich hab mir das aber jetzt nicht fest vorgenommen.
Vor Pistorius haben ja bereits einige paralympische Sportler wie die einarmige polnische Tischtennisspielerin Natalia Partyka 2008 in Peking teilgenommen – allerdings ohne technische Hilfsmittel.
Man sollte diesen Weg weitergehen. Ich finde es wichtig, dass wir bei den nichtbehinderten Sportlern mitmachen. Die lernen mit dem Thema Behinderung viel besser umzugehen, wenn sie mal sehen, dass da einer seine Beine wechselt. Der Leistungssport wird dadurch menschlicher.
Der Interviewte David Behre (25) aus Moers verlor bei einem schweren Unfall 2007 seine Unterschenkel und startete eine steile Karriere als Paralympic-Sportler. Bei der WM 2011 in Neuseeland gewann er über 400 Meter Silber in Europarekordzeit. Schneller war nur Oscar Pistorius.
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