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Beinamputierter Staffel-Läufer bei Olympia„Da ist Neid im Spiel“

Oscar Pistorius hat sich für das Halbfinale über 400 Meter qualifiziert. Der Deutsche David Behre rennt wie Pistorius 400 mit Prothesen - bei den Paralympics. Unfair? „Nein“, sagt Behre.

Oscar Pistorius ist der erste beidseitig beinamputierte Sportler bei Olympischen Sommerspielen Bild: dpa
Interview von Johannes Kopp und Johannes Kopp

taz: Herr Behre, wie Oscar Pistorius treten Sie Ende August bei den Paralympics über 400 Meter mit Unterschenkelprothesen an. Pistorius aber ist der Erste, der mit diesem Hilfsmittel am Samstag bei den nichtgehandicapten Olympioniken mitmischt. Finden Sie das gut?

David Behre: Oscar ist den richtigen Weg gegangen. Er läuft uns paralympischen Sportlern im Moment auf den 400 Metern davon. Mit wem soll er sich denn bei uns noch messen? Außerdem haben Untersuchungen ergeben, dass er keinen Vorteil durch seine Karbonprothesen hat.

Es gab zwei Gutachten. Das erste attestierte Pistorius Vorteile. Dieser protestierte, woraufhin ein zweiter Gutachter urteilte, Vorteile und Nachteile würden sich aufheben.

Das ist nicht einfach abzuwägen, aber ein Biomechaniker von einer US-amerikanischen Universität kam auch zu dem Schluss, das sich Vorteile und Nachteile aufheben würden. Und Oscar sagt ja zu Recht: „Wenn ich einen Vorteil hätte, würden alle Doppelamputierten so schnell laufen.“

Wie schnell laufen Sie?

Oscar Pistorius

Der Mensch: Pistorius, dem im Alter von elf Monaten die Unterschenkel amputiert wurden, spielte zunächst Fußball, Kricket, Tennis, Wasserball und Rugby. Als er sich beim Rugby am Knie verletzte und zur Reha an die Uni seiner Heimatstadt Pretoria kam, begann er dort 2004 mit dem Laufen.

Der Läufer: Nach nur zwei Monaten Training lief der 17-Jährige die 100 Meter in 11,51 Sekunden, nur acht Monate später siegte er bei den Paralympics 2004 in Athen über 200 Meter und holte zudem im 100-Meter-Lauf Bronze. 2012 verpasste er bei den Afrikameisterschaften in Benin die Olympianorm über 400 Meter.

Der Olympionike: Für einen Startplatz bei den Spielen in London hätte er zweimal unter 45,20 Sekunden bleiben müssen, schaffte dies aber nur einmal. Dennoch wird Pistorius für die 4x400-Meter-Staffel nominiert und erhält kurz darauf auch die Starterlaubnis für das Einzelrennen. Im Vorlauf am Samstag über die 400 Meter wurde er 16. und hat sich für das Halbfinale am Sonntag qualifziert.

Ich bin der Zweitschnellste mit 51,40 Sekunden. Oscar läuft die Strecke in 45 Sekunden.

Prothesenläufer, heißt es, können mit Hilfe der Sprungfedertechnik auf dem letzten Teilstück erheblich zulegen.

Ja, aber in der Startphase verliert ein amputierter Sprinter deutlich. Er muss erst Kraft in die Prothesen geben, damit da auch wieder was rauskommt.

Haben Sie weitere Nachteile?

Nicht wirklich. Die Kurven kosten ganz viel Kraft, weil wir das Sprunggelenk nicht in der Kurve drehen können. Wir müssen viel mit der Hüfte arbeiten.

Viele stören sich dennoch am Start von Pistorius. Stefan Poser, der Trainer der deutschen 400-Meter-Läufer, spricht von „ein bisschen Wettbewerbsverzerrung“.

Man muss da vorsichtig mit seinen Urteilen sein. Rein rechtlich darf Oscar an den Spielen teilnehmen. Das ist das Entscheidende.

Können Sie sich die Bedenken erklären?

Nicht wirklich. Es ist mal so, dass Oscar jeden deutschen 400-Meter-Läufer schlagen würde und schlägt. Keine Ahnung, ob da Neid im Spiel ist. Ich laufe auch auf Sportfesten gegen Nichtbehinderte und habe da nur positive Erfahrungen gemacht. Vermutlich wird es anders, wenn man sie deklassiert.

Durch die Weiterentwicklung der Prothesentechnologie werden Sie unabhängig vom Training aber schneller.

Erst einmal muss man sehen, welch harter und steiniger Weg, der mit viel Schmerzen verbunden ist, hinter uns liegt. Der Stumpf ist es nicht gewohnt, dass auf dem Bein eine so große Druckbelastung ist. In der höchsten Sprintphase muss ich eine Tonne an Kraft in die Feder reingeben, und die Tonne kommt auch wieder heraus. Das muss die Muskulatur erst einmal abfangen können. Aber mit Hilfe der Technik sind wir in zwanzig Jahren auf 400 Meter möglicherweise schneller als Nichtbehinderte.

Würden Sie sich dann wieder für getrennte Wettbewerbe aussprechen?

Sicher, wenn die Techniker sagen: „Jungs, jetzt habt ihr einen Vorteil“, muss man reagieren.

Gibt es unter paralympischen Sportlern Vorbehalte gegen dem Pionier Pistorius?

Allgemein wird das positiv gesehen. Er ist ein Vorreiter. Er hilft auch uns anderen Sportlern, in den Vordergrund zu kommen. Ich erhalte jetzt viel mehr Presseanfragen.

Käme der Weg von Pistorius auch für Sie in Frage?

Wenn ich einmal so schnell werden sollte, wäre ich auch gerne bei den Nichtbehinderten dabei. Ich hab mir das aber jetzt nicht fest vorgenommen.

Vor Pistorius haben ja bereits einige paralympische Sportler wie die einarmige polnische Tischtennisspielerin Natalia Partyka 2008 in Peking teilgenommen – allerdings ohne technische Hilfsmittel.

Man sollte diesen Weg weitergehen. Ich finde es wichtig, dass wir bei den nichtbehinderten Sportlern mitmachen. Die lernen mit dem Thema Behinderung viel besser umzugehen, wenn sie mal sehen, dass da einer seine Beine wechselt. Der Leistungssport wird dadurch menschlicher.

Der Interviewte David Behre (25) aus Moers verlor bei einem schweren Unfall 2007 seine Unterschenkel und startete eine steile Karriere als Paralympic-Sportler. Bei der WM 2011 in Neuseeland gewann er über 400 Meter Silber in Europarekordzeit. Schneller war nur Oscar Pistorius.

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22 Kommentare

 / 
  • I
    ion

    @ Matthes ("06.08.2012 02:53),

     

    "Ich glaube Ihr versteht mich nicht oder Ihr wollt mich nicht verstehen.";

    Oder vice versa.

  • K
    kroete

    Die Olympische Geistlosigkeit

     

    Wir sollten dringend die übermenschlichen Anforderungen an die Athletinnen und Athleten überprüfen.

    Die meisten dürfen bereits an den Selbstverständlichkeiten scheitern, auf leistungssteigernde Mittel zu verzichten und taktische Ergebniskosmetik durch Manipulationen jeglicher Art zu unterlassen.

    Sport zeigt uns brutal offen, daß Leistung bzw. dessen Bewertung auf Auslese beruht.

    Das Menschenbild von Gehandicapten ist da keine Ausnahme.

    Da hilft auch der Paradigmenwechsel von Integration auf Inklusion nicht weiter, ist der erste Ansatz zu großen Teilen gesellschaftlich noch nicht umgesetzt worden.

    Ich finde es großartig, daß O. Pistorius mit Carbonunterschenkeln die sogenannten Gesunden hinter sich lassen kann.

    Ob er hier einen technischen Vorteil hat, kann ich nicht beurteilen, es sind seine Beine, was so akzeptiert werden sollte.

    Schade, daß die "Hirnamputierten" nicht so leicht "disqualifiziert" werden.

    Es geht nur um das Gewinnen zu jedem Preis.

  • M
    Matthes

    Ich glaube Ihr versteht mich nicht oder Ihr wollt mich nicht verstehen. Da ist ein einzelner Athlet der mit Federn Traumzeiten läuft. 6 Sekunden schneller als der zweitbeste Beidseitigunterschenkelamputierte. Das sollte ein Fanal sein „wir Menschen mit Handikap können auch was leisten“.

    Natürlich gibt es Menschen die sich aus Habgier verstümmeln, es gibt auch Menschen die schwerbewaffnet Schulen stürmen und unschuldige Menschen töten (auch in D.).

    Seht Euch im Radsport um, wer da ganz vorne mitfahren will muss ja fast zwangsläufig gedopt sein. Hört Euch die Geständnisse von Sportlern aus der ehemaligen DDR an…

    Pistorius ist ein Ausnahmeathlet! Gönnt ihm seine Erfolge! Für viele behinderte Menschen ist er ein Idol.

    Sollte es jemals dazu kommen dass Massen von Prothesenträgern die Medaillen abräumen werden wir uns von Servicerobotern das Essen servieren lassen während wir die Wettkämpfe holographisch verfolgen.

    Googelt mal im Internet nach: Pistorius oder Behre und lest die Geschichten von vielen anderen gehandikapten Sportlern. Nur ein Bruchteil schafft es bei Wettbewerben mit nichtbehinderten teil zu nehmen. Wenn sie dann dabei sind werden sie verhöhnt weil sie dem Feld hinterherlaufen, belächelt oder wie der Elefantenmensch zur Schau gestellt. Sollten sie aber Erfolge erzielen ist es Technodoping.

    Bindet Euch mal 24Stunden die Augen zu oder setzt Euch mal eine Woche in einen Rollstuhl (ohne zwischendurch zum Klo zu GEHEN).

    Der begriff „Inklusion“ ist so überflüssig wie der Pickel am A…

    Wir sind alle Menschen und wer nicht irgendeine Behinderung hat der werfe den ersten Stein.

    Dabei geht es den „nur“ körperlichen Krüppeln ja noch relativ gut, die mit einer geistigen Behinderung haben die Arschkarte.

    Wenn dann Jemand aus einer körperlichen Benachteiligung etwas macht und schneller ist als jeder deutsche Sprinter mit Füßen – na wer ihn nicht feiern will sollte zumindest nicht mit Dreck werfen und wenigstens Respekt zeigen. Manchmal ist Schnauze halten besser als geistigen Müll abzusondern, selbst wenn er mit Fremdwörtern gespickt ist.

    PS: es gibt auch im Behindertensport schwarze Schafe aber bestimmt, prozentual nicht mehr als bei den „normalen“.

    Ich wünsche allen Lesern eine gute Woche, ohne eine Krankheit oder einen Unfall der Euch zum Krüppel macht aber auch die Weisheit über Menschen mit Behinderung so zu urteilen als wäret Ihr selber in dieser Situation. Stellt Euch die Welt mal aus der Sicht eines Rollstuhlfahrers vor, kommt Ihr ohne fremde Hilfe zu Eurem Hausarzt…

  • I
    ion

    @ highks (05.08.2012 00:54),

     

    joop!

    So, wie ’s in vielen ländern auf diesem planeten praktiziert wird: kinder, jugendliche werden verstümmelt (arm-, bein-amputationen) und morgens zum betteln auf die straße gestellt und abends mitsamt einnahmen wieder 'eingesammelt';

    Vor jahrzehnten gab es eine welle auffälliger 'unfälle' (in D), bei denen (junge) ärzte das letzte glied ihres kleinen fingers der vorzugsweise linken hand 'versehentlich' ('unfall') verloren hatten – zwecks (mit-)finanzierung ihrer praxeneinrichtung durch gezielten versicherungsbetrug, wie sich später nachweislich (in vielen fällen) herausstellen sollte.

    Es wäre naiv, davon auszugehen, dass psychisch prädisponierte ehrgeizlinge (ein attribut, das bekanntermaßen alle 'hochleistungs'-sportler gemeinsam haben) nicht auch auf dieses mittel zum 'totalen' sieg, resp. erregung der öffentlichen aufmerksamkeit und generierung von finanzmitteln zurückgriffen.

  • H
    highks

    Ich glaube, wenn es irgendwann so weit ist, dass die Prothesen echte Vorteile bringen, dann werden wir uns mit einem neuen ethischen Problem auseinandersetzen müssen: darf sich ein Sportler beide gesunden Beine amputieren lassen, um mit Prothesen schneller zu laufen?

     

    So unwahrscheinlich es klingt: es würde bestimmt Sportler geben, die diesen Schritt gehen würden.

    Schließlich gibt es ja auch viele Sportler, die sich mit dubiosen Dopingmethoden die Gesundheit ruinieren, nur um ein paar Hundertstel schneller zu sein...

  • M
    Matthes

    Warum muss denn immer alles kaputt geredet werden? Warum könnt Ihr Euch nicht einfach freuen?

    Freuen darüber, das ein junger Mann trotz Handicap und gegen alle möglichen Widerstände solch eine Leistung erbringt.

    Pistorius hat doch keinen Elektroantrieb in den Prothesen.

    Ich für meinen Teil freue mich über diese außergewöhnliche Leistung. Viele Menschen sollten sich ein Beispiel daran nehmen!

    Zu der Aussage von Herrn Behre, Prothesensprinter hätten nicht wirklich Nachteile. Das fehlen des Sprunggelenks ist schon auf gerader Strecke ein Nachteil, in Kurven ist dieser enorm. Zieht Euch mal so Dinger an und versucht darauf zu laufen.

    Ein Ausnahmeläufer wie Pistorius könnte auf einer schnurgeraden Strecke über 400m einen Vorteil haben aber es geht eben nicht geradeaus.

    Behre beschreibt richtig dass nach dem Start erst einmal Energie in die Prothesen gepumpt werden muss, erst nach einer gewissen Strecke gewinnt er Energie zurück. Ähnlich wie auf einem Trampolin.

    Ich verstehe wirklich diese ganze Aufregung NICHT!

    Oscar ist eine absolute Ausnahme, dazu kann man ihm wirklich nur gratulieren!

    Behre ist hinter ihm der zweitschnellste auf der Stadionrunde und benötigt 6s mehr.

    Oder glaubt ihr. jemand würde sich die Füße amputieren lassen weil er meint mit Karbonfedern Weltrekorde laufen zu können?

  • M
    Matthes

    Warum muss denn immer alles kaputt geredet werden? Warum könnt Ihr Euch nicht einfach freuen?

    Freuen darüber, das ein junger Mann trotz Handicap und gegen alle möglichen Widerstände solch eine Leistung erbringt.

    Pistorius hat doch keinen Elektroantrieb in den Prothesen.

    Ich für meinen Teil freue mich über diese außergewöhnliche Leistung. Viele Menschen sollten sich ein Beispiel daran nehmen!

    Zu der Aussage von Herrn Behre, Prothesensprinter hätten nicht wirklich Nachteile. Das fehlen des Sprunggelenks ist schon auf gerader Strecke ein Nachteil, in Kurven ist dieser enorm. Zieht Euch mal so Dinger an und versucht darauf zu laufen.

    Ein Ausnahmeläufer wie Pistorius könnte auf einer schnurgeraden Strecke über 400m einen Vorteil haben aber es geht eben nicht geradeaus.

    Behre beschreibt richtig dass nach dem Start erst einmal Energie in die Prothesen gepumpt werden muss, erst nach einer gewissen Strecke gewinnt er Energie zurück. Ähnlich wie auf einem Trampolin.

    Ich verstehe wirklich diese ganze Aufregung NICHT!

    Oscar ist eine absolute Ausnahme, dazu kann man ihm wirklich nur gratulieren!

    Behre ist hinter ihm der zweitschnellste auf der Stadionrunde und benötigt 6s mehr.

    Oder glaubt ihr. jemand würde sich die Füße amputieren lassen weil er meint mit Karbonfedern Weltrekorde laufen zu können?

  • II
    @ Inklusion

    --> Auf jeden Fall sollte auch ein armamputiertes Kind, welches nicht mit seinen Händen und Stiften handschriftlich schreiben kann, mit PC und anderen Hilfsmitteln am "normalen" Schulalltag teilnehmen können (auch wenn es dann vielleicht ein Rechtschreibprogramm hat).

  • I
    ion

    @ Inklusion (04.08.2012 16:21),

     

    "Hallo," und was hat ihr L.-kommentar mit dem Artikel, den Olympischen Wettkämpfen, resp. den so genannten Paralympics zu tun?

     

    Und wieso sollte ein "armamputiertes Kind" im Schulalltag ‘wettbewerbsverzerrende’ Vorrechte wie die Benutzung eines PC-inhärenten "Rechtschreibprogramms" nutzen dürfen? Werden Wörter, Vokabeln in Armen gespeichert?

     

    Sie können "das Wort “Inklusion” zwar nicht mehr hören", aber warum benutzen Sie es dann als Pseudonym? Was meinen Sie mit: "die Inklusion als gesellschaftlicher Wert"(¿); Was bedeutet: "lebt (....) den inklusiven Gesellschaftsansatz!" Wo sehen Sie Exklusion?

    Plädieren Sie für Bioengineering, Hybridwesen, etc.?

  • H
    HerrNilsen

    Allein, daß nun die bisher für absurd und ausgeschlossen gehaltene Möglichkeit eingetreten ist, daß sich die vermeintliche "Normalität" sogenannter "normalen" Athleten gegenüber einem "behinderten" Sportler als nachteilig, benachteiligt, also "behindert" herausstellen könnte, macht nicht nur das breite gesellschaftliche Unbehagen aus, das man nun in vielfachen Ausführungen bewundern darf, es ist auch das Bedeutende an diesem Fall: Um die Umkehrungsmöglichkeit bereichert tritt nun - alle vorgetragenen Abwehrversuchen dokumentieren das nur zu deutlich - eben eine Irritation und Dekonstruktion des Wahrnehmungsschemas "Normalität-Behinderung" in Erscheinung. Ein Wahrnehmungsschema an dem entlang Menschen klassifiziert und durch das gesellschaftliche Praktiken gerechtfertigt worden sind und werden. Ein Wahrnehmungsschema, das wenn es umgekehrt werden kann, plötzlich nicht gar mehr so überzeugend wirken könnte, weil Normalität wie hier dann eben auch mit Behinderung identifiziert werden kann. Und genau das sollte dieses saubere und säubernde Schema doch eigentlich abwenden und vermeiden. Willkommen im Blickwinkel "behindert" zu sein, liebe Normalos! Wie fühlt es sich an?

  • W
    womue

    Also wirklich! Wer ist denn neidisch auf einen Mann ohne Beine?

  • F
    FMH

    @Inklusion:

    Was Schulunterricht mit Olympia zu tun hat erschließt sich mir absolut nicht. Und auch dort gerät die Inklusion an ihre Grenzen wenn zum Beispiel gehörlose Kinder auf Druck ihrer Eltern mit Dolmetscher in Regelschulen gebracht -wie es neulich durch die Medien geisterte- werden und dann für sie wichtige Strategien für dem Umgang mit ihrer Behinderung dort nicht vermittelt bekommen können, sowie den Unterricht für alle anderen aufhalten.

     

    Was Sie verstehen sollte: Vor ein paar Jahren gab es im Schwimmsport spezielle Anzüge, die den Trick der rauen Haut eines Hais kopierten und so den Widerstand des Schwimmers im Wasser verringerten. Jeder Schwimmer und jede Schwimmerin trug fortan einen solchen Anzug um auch die letzte Hunderstelsekunde herauszukitzeln. Natürlich wurde die Technik weiterentwickelt, es fand ein regelrechtes Wettrüsten statt, bei welchem mit der Abgabe von Gleitsubstanzen aus dem Anzug und anderem experimentiert wurde. Schließlich führte dies dazu, dass solche Anzüge vollständig verboten werden mussten.

     

    Nun stehen wir am Anfang des gleichen Problems: Beinamputierte Sportler benutzen speziell auf ihre Sportart abgestimmte Beinprothesen und haben dadurch womöglich einen Vorteil. Auch hier wird es ein Wettrüsten geben, welches gestoppt werden muss - sowohl für Sportler die in den "normalen" Spielen oder bei den Paralympics antreten wollen.

    Das zweite Problem ist, dass ein nicht amputierter Sportler nur ein paar Beine hat - Amputierte haben die möglichkeit sich auf ihre Sportart ideale Prothesen anfertigen zu lassen - ich bin mir sicher, es gibt jetzt schon unterschiedliche Fabrikate für Sprint, Marathon, Weitsprung und so weiter. Hier muss ein klarer Standard her um zu bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Sind die Gutachten nicht eindeutig, so muss man zwangsläufig erst einmal ein Verbot aussprechen.

     

    Es ist schlicht nicht fair rein aus Gründen der Inklusion nicht behinderte Sportler und Sportlerinnen zu übervorteilen. Das erzeugt Ärger und Hass.

    Menschen, deren Leben von Medikamenten abhängt, die auf der Dopingliste stehen, werden ja auch von den Spielen ausgeschlossen - bei diesen Menschen spricht niemand von Inklusion, obwohl sie es doch auch verdient hätten.

  • ET
    Erwin Thierfelder

    Klar darf er - was ist das denn für eine ätzende Diskussion? Der Ausgleich von Handiicaps durch Prothesen ist doch kein Doping. Wenn Dopingverbot mit Recht andere vor manipulativer Benachteiligung schützt, so muss der Athlet mit dem Handicap gerechterweise auch denselben Schutz vor der (objektiven) Bevorteilung der anderen Teilnehmer genießen.

  • S
    Stefan

    Die Meinung von Inklusion kann ich nur unterstützen und wir sollten in Deutschland mal anfangen, uns wieder mehr wie Menschen zu benehmen.

     

    Der Neidansatz im Interview scheint aufgrund der Kommentare voll ins Schwarze zu treffen! Da werden mal eben Prothesen mit Doping und Drogen gleichgesetzt, nur um Pistorius seine "ehrliche" Eignung zum Weltsportler abzusprechen. Dadurch wird der Titel eben doch passend @Philipp.

     

    Wenn man den Kommentatoren bis 04.08. um 15:11 folgt, sollten wir am besten unsere Gliedmaßen amputieren lassen, zack Karpon drangeschnallt und los gehts! Niemand könnte uns mehr schlagen und wir wären immer die Besten in der Welt. Vielleicht hilft es ja auch beim Schwimmen. Statt 2 Beinen wären Schiffsschrauben doch eine echte Alternative...

     

    Hier kann man nur noch Fragen: Gehts noch?

     

    Die Beinprothesen von Pistorius sind übrigens keine "Erweiterungen" nach dem Motto: Pimp my Body. Hier handelt es sich um einen Ersatz seiner beiden von Geburt an nicht vorhandenen Unterschenkel und Füße.

     

    Mein Resümee des Tages lautet daher: Go, Pistorius, Go!

  • M
    Micha

    "Es sind ja nicht alle Doppelamputierten hervorragende Athleten. Auch wenn er sich nur auf die amputierten Läufer beziehen würde wäre die Aussage Blödsinn, da sich ja der technische Vorteil und das persönliche Können immernoch addieren"

     

    Richtig und da man annehmen müsste, dass amputierte und nichtamputierte Athlethen im Mittel etwa gleichgute Athleten sind sind, würde man daran, dass die amputierten schneller laufen, ablesen können, dass sie einen Vorteil hätten. Hamse aber offenbar nicht.

     

    "Er hat sich einfach ein anderes Gutachten besorgt."

    Na und? Vielleicht hat das, das er sich besorgt hat, ja recht. Natürlich holt man einen zweiten und einen dritten Gutachter. Würden Sie wohl nicht so machen? Daran ist doch nichts Unredliches.

     

    Naja, es ist schon lustig. Früher hat man die Behinderten ausgeschlossen, weil man sie für weniger leistungsfähig hielt. Heute tut mans, weil man Angst hat, sie könnten leistungsfähiger sein. Manche Dinge ändern sich wohl nie...

  • I
    Inklusion

    Hallo, was sind denn das für Kommentare?

     

    Die technische Seite ist die eine, aber mir fehlt hier ganz klar die menschliche!

     

    Ich kann das Wort "Inklusion" zwar nicht mehr hören, weil mehr davon gesprochen bzw. eher in Hochglanzbroschüren geschrieben, als in der Gesellschaft umgesetzt wird, aber eine dringende Notwendigkeit bleibt die Inklusion als gesellschaftlicher Wert auf jeden Fall. Das zeigen leider auch diese Kommentare hier (bis 4.8., 15.11 h).

     

    Liebes Deutschland, liebe Bundesbürger: Lebt und verinnerlicht bitte den inklusiven Gesellschaftsansatz!

     

    Über technische Feinheiten können wir dann immer noch sprechen. Auf jeden Fall sollte auch ein armamputiertes Kind, welches nicht mit seinen Händen und Stiften handschriftlich schreiben kann, mit PC und anderen Hilfsmitteln am "normalen" Schulalltag teilnehmen können (auch wenn es dann vielleicht ein Rechtschreibprogramm hat).

  • P
    Philipp

    Interviewter: "Keine Ahnung, ob da Neid im Spiel ist."

    taz-Überschrift: "Da ist Neid im Spiel"

     

    Sicher, der Interviewte deutet mit seiner Aussage an, dass Neid eine Rolle spielen KÖNNTE, lässt es letztlich aber offen. Wie kommt dann der Interviewer/die taz dazu, diese Überschrift zu wählen? Klar, klingt irgendwie gut und knackig bei dem Thema, passt aber überhaupt nicht zu den Aussagen des Interviewten. Eigentlich ist es eine krasse Verdrehung, und macht eine schlechten Eindruck.

  • F
    FMH

    „Wenn ich einen Vorteil hätte, würden alle Doppelamputierten so schnell laufen.“

     

    Ich muss leider sagen, dass dieser Herr einen ganz schönen Unfug verzapft. Es sind ja nicht alle Doppelamputierten hervorragende Athleten. Auch wenn er sich nur auf die amputierten Läufer beziehen würde wäre die Aussage Blödsinn, da sich ja der technische Vorteil und das persönliche Können immernoch addieren.

  • I
    ion

    "Beinamputierter Staffel-Läufer bei Olympia";

    Das ist noch degoutanter, als es die Olympischen Wettkämpfe der 'Neuzeit' ohnehin bereits längerem sind; Und bereits die erste Replik des Herrn Behre: "Mit wem soll er sich denn bei uns noch messen?", entlarvt die eigentliche Thematik, die da heißt: "Biomechanik" (+ Doping) = (immer(!), und nicht: "ein bißchen") "Wettbewerbsverzerrung", zumal sich die als Staffage eingeladenen Sportler 'armer' Länder weder das Eine, noch das Andere (wirklich) für ihre 'Sportler'-/Wettkämpfer-förderung leisten können.

    Werden zu Schachweltmeisterschaften demnächst auch Menschendummys mit Direktanschluß zu Supercomputern (Blue Gene) zugelassen?

    So-so(!): "Der Leistungssport wird dadurch menschlicher.";

    „Schöne neue Welt“ – aber definitiv ohne mich!

  • S
    SusaZ

    Naja, man muss festhalten, dass Oscar Pistorius der heimliche Held des kommerziellen Südafrikas ist. Bislang ist eher der Schwimmer Cameron van der Burgh der eigentlich Held Südafrikas bei den Olympischen Spielen 2012: http://2010sdafrika.wordpress.com/2012/07/29/1-olympia-medaille-fur-sudafrika-erschwommen/.

  • A
    Anno

    --> Würden Sie sich dann wieder für getrennte Wettbewerbe aussprechen?

     

    Sicher, wenn die Techniker sagen: „Jungs, jetzt habt ihr einen Vorteil“, muss man reagieren.

  • M
    Mahmoud

    Das erzeugt unnötig Probleme.

    Selbst mit allen Gutachten der Welt werden es viele als Unfair ansehen, gerade wenn er mal gewinnt.

    Olympia sollte die körperliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer auf die Probe stellen OHNE erweiterungen, sei es nun Drogen oder Prothesen. Egal ob es vorteile oder nachteile bringt.

     

    Man sollte lieber in Zukunft drei Veranstaltungen machen - eine gemischte käme dazu.

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