Beim Verband der Islamischen Kulturzentren: Das große Misstrauen
Der Verband der Islamischen Kulturzentren betreibt bundesweit Schülerwohnheime, die als "integrationshemmend" kritisiert werden. Zu unrecht, behauptet der Verband. Ein Besuch.
Es ist ruhig in dem großen Raum, der hier einfach nur Tagesraum heißt. Ungewöhnlich ruhig. Denn an den Holztischen, die an der Fensterseite des Raums aufgereiht sind, sitzen zwölf Jungs im Teenageralter. Die Köpfe haben sie über Hefte und Bücher gebeugt. Kein Tuscheln, kein Kichern, keine Sprüche, kein Stress. Es ist Hausaufgabenzeit im Schülerwohnheim des Verbands der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) in Duisburg-Hochfeld.
Lärm verbreitet allein die Besuchergruppe, die Yusuf Uca, der Imam der Hochfelder VIKZ-Gemeinde und der Erzieher Holger Kellner durch den grün gestrichenen Nachkriegsbau an der Hochfeldstraße führen: Journalisten, ein Mann vom Jugendamt, ein Pfarrer aus dem christlich-islamischen Dialog. Der VIKZ hat zum Tag der offenen Tür geladen, um das Image des Verbands zu verbessern.
Damit ist es nicht gut bestellt. Seit jüngst der Kölner Stadtanzeiger Auszüge aus einem Polizeibericht über den VIKZ aus dem Jahr 2006 veröffentlicht hat, steht der Verband - wieder einmal - in der Kritik. Von "antiwestlichen, antidemokratischen und antijüdischen Einstellungen" war da zu lesen. In den Wohnheimen und Koranschulen des Verbands würde der heilige Krieg verherrlicht. Kinder und Jugendliche würden in einen "strengstens Scharia-orientierten" Islam "hinein-indoktriniert". Das sei "absolut integrationshemmend". Umgehend verlangten SPD-Politiker wie Sebastian Edathy und Lale Akgün, den Verband aus der Islamkonferenz der Bundesregierung auszuschließen. Und die Union forderte die Überwachung durch den Verfassungsschutz. "Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, was im VIKZ wirklich passiert", so CDU-Mann Wolfgang Bosbach. Tatsächlich ist über das Innenleben des drittgrößten muslimischen Dachverbands hierzulande extrem wenig bekannt.
Offiziell betreibt der VIKZ bundesweit 19 Schülerwohnheime, in 16 sind Jungen, in drei Mädchen untergebracht. Das Heim in der Duisburger Hochfeldstraße gilt als Vorzeigeprojekt des Verbands. 23 türkischstämmige Jungen zwischen 13 und 19 Jahren leben hier, vom Hauptschüler bis zum Gymnasiasten ist alles dabei. Die Jugendlichen kommen meist aus intakten Familien, einige von ihnen wohnen gleich um die Ecke. 150 Euro im Monat zahlen die Eltern, den Rest der Kosten trägt der Verband.
Vormittags besuchen die Jungen die öffentlichen Schulen der Stadt, danach geht es zurück ins Heim. "Nach der Schule wird gegessen, dann werden Hausaufgaben gemacht, vor und nach dem Abendessen ist Freizeit", sagt Holger Kellner, der Erzieher. "Manchmal machen wir dafür ein Angebot." Die Jungen könnten aber auch einfach im Park Fußball spielen oder Freunde ins Heim einladen. Ob das auch passiert? "Selten", gibt Kellner zu. Aber am Wochenende gebe es ein Fußballturnier mit drei anderen Hochfelder Teams.
Aktivitäten in den Stadtteil hinein, das ist eine der Auflagen, die das Jugendamt gemacht hat. Dazu gehört auch die Mitarbeit an einem eigens geschaffenen Runden Tisch, der das Heim kontrollieren soll. Zudem musste der Verband deutschsprachiges Personal einstellen. Zwei deutschstämmige Erzieher arbeiten hier, einer von ihnen als Heimleiter. Alle anderen Mitarbeiter haben türkische Vorfahren. Frauen gibt es hier nicht.
"Die Eltern wollen, dass die Kinder hier gefördert werden, damit sie gute Schulabschlüsse machen", sagt Gunnar Vogelsang, der Heimleiter. "Die religiöse Unterweisung ist ihnen aber auch wichtig." Die finde samstags statt. Und: Sie sei freiwillig. Das betonen alle im Heim. Immer wieder.
Kritiker wie die Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann glauben das nicht. "Hauptzweck der Wohnheime des VIKZ ist die religiöse Prägung der Schüler im Sinne eines stockkonservativen Scharia-Sufi-Islam", schrieb sie 2004 in einem Gutachten für das hessische Sozialministerium, eine der Quellen des Kölner Polizeiberichts. "Die Wohnheime tragen nicht zur Integration bei, ganz im Gegenteil: Sie isolieren die Kinder in bedrohlichem Maß von der westlichen Welt. Und sie lernen, deren Werte zu verachten."
Ersoy Sam weist die Vorwürfe zurück. Der Rechtsberater der Kölner Zentrale ist zum Gespräch mit der Presse eigens nach Duisburg gereist. "Das ist schlichtweg falsch", sagt er und preist die Heime als integrationsfördernd: "Der Schulerfolg der Jungen steht hier eindeutig im Vordergrund."
Fatih lebt seit fünf Jahren in dem Heim in der Hochfeldstraße. "Wenn ich zu Hause geblieben wäre, würde ich das Abitur nicht schaffen", sagt der 19-Jährige, der die zwölfte Klasse eines Gymnasiums besucht und bald Maschinenbau studieren will. "In meiner Familie wird vor allem Türkisch gesprochen, hier reden wir meist Deutsch."
Fatih betet fünfmal am Tag, die anderen Jungen hält er zum Mitmachen an. "Wir Älteren nehmen das ernster als die Jungen", sagt er. Am Wochenende lernt Fatih beim Imam das arabische Alphabet, das Rezitieren von Koranversen und das rituelle Gebet. "Freiwillig."
Ähnlich äußern sich auch Turan, Tunahan und die anderen Jungs, die hier für Journalisten ansprechbar sind. Der Eindruck entsteht, das sei abgesprochen.
Die Religionswissenschaftlerin Gerdien Jonker, die eine der wenigen Studien zum VIKZ durchgeführt hat, hält die Vorwürfe gegen den Verband für "aufgewärmt", sie folgten "einem Narrativ aus der Türkei". Drei Jahre lang hat Jonker VIKZ-Gemeinden untersucht, in einer Phase, in der der Verband auf dem Weg der Öffnung war. "Man kann dem VIKZ zwar Konservatismus und Verschlossenheit vorwerfen", sagt Jonker, "aber das gilt auch für andere Religionsgemeinschaften."
In Hochfeld verschwinden immer mehr Jungen aus dem Tagesraum ins Computerzimmer oder in den öffentlichen Park hinter den Haus. Die Schlafräume sind leer. Drei bis vier Etagenbetten stehen an den Wänden, die Bettdecken sind ordentlich zusammengelegt. Die Wände sind weiß, Poster und Fotos gibt es nicht, auch keine Bücher, CDs oder Spielsachen in den Regalen. "Das gemeinschaftliche Leben findet im Tagesraum statt", sagt Holger Kellner, der Erzieher. Eigene Rückzugsorte für die Jungen gibt es im Haus nicht.
Anders als Nordrhein-Westfalen lehnt Hessen Schülerwohnheime des VIKZ ganz grundsätzlich ab: Sie werden schlicht nicht genehmigt. Das ist das Ergebnis des Gutachtens von Spuler-Stegemann und eigener Recherchen des Landesjugendamts. "Sich ein wirkliches Bild über den Verband zu machen, ist schwierig", sagt ein Mitarbeiter, der an der Entscheidung beteiligt war. "Ich habe mir meines mosaikartig zusammengefügt."
Ein Steinchen sind die Berichte, dass Kinder im Heim regelmäßig für Gebete geweckt würden - und übermüdet in die Schule kämen. Ein anderes das Verfahren wegen Steuerhinterziehung, das nach einer Nachzahlung von 10 Millionen Euro eingestellt wurde. Und nicht zuletzt die beiden Schülerwohnheime, die der VIKZ allein in Hessen ohne Genehmigung betrieb - und die das Jugendamt dichtmachte. "Das sind keine Einzelfälle", sagt der Mann vom Landesjugendamt. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der VIKZ ein Versprechen gibt, und dann doch macht, was er will."
Auch in anderen Bundesländern tauchen immer wieder illegale Heime auf. Noch vor wenigen Wochen hat das zuständige Jugendamt in Waltrop im Ruhrgebiet ein Heim geschlossen. 15 Mädchen waren dort untergebracht, ohne Genehmigung. "Ich habe kein einziges Schülerwohnheim finden können, bei dem es keine gravierenden Täuschungen gegeben hat", heißt es auch bei Spuler-Stegemann.
In Duisburg-Hochfeld hört sich das anders an. "Der Hochfelder Ortsverein hält sich an Absprachen", sagt der Leiter des Duisburger Jugendamts, Thomas Krützberg. "Wir sind mit dem Zusammenwirken zufrieden." Auch Georg Fobbe, Stadtteilmanager vor Ort und Mitglied des Runden Tischs, weist die Vorwürfe zurück. "Das sind Gerüchte, die treffen hier nicht zu." Und Hubert Kortmann, ehemaliger Leiter einer Hauptschule im Stadtteil betont: "Die Leistungen der Schüler aus dem Wohnheim sind besser geworden."
Auch Rafael Nikodemus geht davon aus, dass in Hochfeld alle Auflagen erfüllt werden, schließlich stehe das Heim unter Beobachtung. Nikodemus ist seit März Dezernent für den christlich-islamischen im Düsseldorfer Landeskirchenamt, zuvor war er dafür in Duisburg zuständig und saß in Hochfeld mit am Runden Tisch. Dennoch ist er skeptisch: "Spracherwerb und Schulnoten sind aber nur eine Sache bei der Integration", sagt Nikodemus. "Man muss realisieren, was man den Kindern zumutet: Einerseits wird ihnen ein sehr strenger Glauben vermittelt, andererseits sollen sie sich in unsere Gesellschaft einfügen." Seiner Ansicht nach hat der Verband "ein grundlegendes Problem mit der Transparenz". Irritierend sei, dass immer wieder Schülerwohnheime illegal in Betrieb genommen werden. "Und dann kommt stets dieselbe Entschuldigung: Der Verein vor Ort habe es nicht besser gewusst."
Genau das antwortet Rechtsberater Sam, als er nach Waltrop, Wuppertal, Frankfurt und den anderen Heimen gefragt wird, die ohne Betriebsgenehmigung aufgeflogen sind. "Wir haben 300 selbstständige Vereine", sagt Sam. "Und wo Menschen am Werk sind, gibt es Fehler."
Diese Erklärung will man auch im Landesjugendamt Rheinland, das für Duisburg zuständig ist, nicht mehr hören. "Wir zweifeln die Zuverlässigkeit des VIKZ an", sagt der zuständige Dezernent. Zwei Genehmigungsanträge des VIKZ für neue Wohnheime in Köln und Bergisch-Gladbach hat er abgelehnt. Der Verband geht in Widerspruch.
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