Bei Nacht und Nebel abgeschoben: Familien-Trennung einkalkuliert
Die missglückte Abschiebung einer siebenköpfigen Roma-Familie hat ein gerichtliches Nachspiel. Flüchtlingsbetreuer wurden übergangen. Vater depressiv.
HAMBURG taz | Die Nacht- und Nebel-Abschiebung des Familienvaters Sebastijan Aliji nach Mazedonien aus Hamburg am Freitag vorvergangener Woche, die eine siebenköpfige Roma-Familie auseinanderriss, hat ein Nachspiel. Die kirchliche Flüchtlingshilfestelle Fluchtpunkt hat die involvierten Behörden beim Verwaltungsgericht verklagt. „Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz hätte sich die Behörde an uns als Bevollmächtigte wenden und uns zumindest über alle Vorgänge informieren müssen“, sagt Anne Harms von Fluchtpunkt.
Überhaupt wirft der Fall der Familie Ailiji einige Fragen auf. So ist der Akte zu entnehmen, dass eine Trennung der Familie langfristig geplant war, was gegen europäisches Recht verstoßen würde. „Sollte sich ein Elternteil zum Zeitpunkt der Abschiebung im Krankenhaus befinden, ist die Abschiebung des verbleibenden Elternteils mit den Kindern geplant“, zitiert Harms aus der Akte.
Damit wurde auf den Vater Sebastijan angespielt, der sich bis vor Kurzem in psychiatrischer Behandlung befand. Nach seinem elftägigen Aufenthalt in einer Klinik attestierten die Ärzte ihm im Entlassungsbrief eine „mittelschwere Depression“ – eine ernste Diagose, die zwingend behandelt werden muss.
Zu diesem Zweck beantragte Fluchtpunkt einen Tag vor der überraschenden Abschiebung bei der Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Hamburg ein Wiederaufnahmeverfahren des abgelehnten Asylantrags, weil ein gesundheitliches Abschiebehindernis vorliege. Ohne die Atteste zu prüfen – die waren nämlich noch auf dem Postweg unterwegs – lehnte das Bundesamt den Antrag ab.
Offenkundig um vollendete Tatsachen zu schaffen, rückte noch am gleichen Abend ein zehnköpfiges Rollkommando der Polizei und der Ausländerbehörde in der Flüchtlingsunterkunft Billstieg an. Doch die Mutter hatte noch eine Duldung. Und die vier Mädchen – Dvevrija (12), Sibela (11) , Nazira (9) und Sajda (7) – befanden sich gerade in einem Sommercamp der SPD-nahen Jugendorganisation „Die Falken“ auf der nordfriesischen Insel Föhr (taz berichtete).
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde wegen des Verdachts der Nötigung. Diese soll der Mutter Sajda ihren 15 Monate alten Sohn Andrejas entrissen haben, um den Aufenthaltsort der vier Mädchen herauszubekommen. Dabei hatte die Behörde selbst die Reise erlaubt. Vater Sebastijan erklärte sich dennoch „bereit“, sich allein ausfliegen zu lassen.
Erklärungsbedürftig ist für Anne Harms von Fluchtpunkt auch die Frage, wie eine Allgemeinmedizinerin im Auftrag der Ausländerbehörde die „Flugreisetauglichkeit“ bescheinigen und in dem Attest exakt die Erkrankung verneinen konnte, die vorher die psychiatrischen Fachärzte diagnostiziert hatten. Und genau dieselbe Ärztin bat bei der Ankunft in Skopje die mazedonischen Grenzpolizisten, die überrascht waren von der starken Polizeibegleitung, wegen des Stresses dem Mann keine Fragen zu stellen, wie Sebastijan Aliji später telefonisch aus Skopje berichtete. „Der Mann ist krank“, soll sie gesagt haben. Mann solle ihn in zwei Wochen befragen, wenn er sich beruhigt habe. Jetzt brauche er Ruhe.
Die geplante Abschiebung von Sajda Aliji und ihren fünf Kindern ist an diesem Montag ausgesetzt worden.
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