Behörden im Fall Anis Amri: Ermittlergruppe soll aufklären
Die Geheimdienste hatten den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz auf dem Radar. Stoppen konnten sie ihn nicht. Eine Task Force soll die Hintergründe beleuchten.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) räumte derweil im Terrorfall Amri Fehler ein und forderte rechtliche Konsequenzen. Zugleich kündigte sie am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag einen unabhängigen Sonderbeauftragten an, der im März – und damit noch vor der NRW-Wahl – Ergebnisse seiner Untersuchungen vorlegen soll. Man werde „gründlich und schnell“ aufklären, wie der Anschlag des islamistischen Gefährders in Berlin am 19. Dezember möglich werden konnte. Auch ihre Regierung stelle sich der Kritik.
Die Koalitionsspitzen in Berlin hatten sich Mitte Januar darauf verständigt, offene Fragen im Fall des 24-jährigen Tunesiers zunächst über eine interne Ermittlergruppe der Geheimdienst-Kontrolleure aufzuklären. Ein späterer Untersuchungsausschuss war nicht ausgeschlossen worden.
Aus einer von den Bundesministerien des Innern und der Justiz kürzlich vorgelegten Chronologie geht hervor, dass sich die Behörden seit Ende 2015 nahezu wöchentlich mit dem Tunesier befassten. Amri wurde als islamistischer Gefährder eingestuft, fiel mehrfach als Krimineller auf, wurde als Asylbewerber abgelehnt und dennoch nicht in Abschiebehaft genommen. Ein marokkanischer Geheimdienst warnte im Herbst 2016 mehrfach vor ihm. Trotzdem konnte Amri im Dezember mit einem Lkw auf einen Berliner Weihnachtsmarkt rasen. Bei dem Anschlag starben zwölf Menschen, rund 50 wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Task Force soll nach dem Beschluss der Geheimdienstkontrolleure vom Mittwoch unter die Lupe nehmen, welche rechtlichen, organisatorischen und strukturellen Defizite es in den Monaten vor der Tat bei der Bewertung der Person Amri gegeben hat. Besonders soll es um den Informationsfluss und die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten des Bundes – also dem Inlandsgeheimdienst BfV und dem Auslandsdienst BND – sowie weiteren beteiligten Behörden im Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrum von Bund und Ländern (GTAZ) gehen.
Gab es Abstimmungsprobleme?
Nach dem Untersuchungsauftrag soll die Ermittlergruppe auch beleuchten, ob es Korrekturbedarf bei der Aufgabenverteilung zwischen dem BfV und der Polizei in Bund und Ländern sowie bei der Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzämtern der Länder gegeben hat. Die Abgeordneten wollen zudem wissen, welche Erkenntnisse zur Person Amri und zu dessen Umfeld im BfV und beim BND vorlagen. Eine Rolle sollen dabei auch die Hintergründe bei dessen Einstufung als Gefährder spielen.
Kritiker vermuten, es habe gravierende Abstimmungsprobleme einerseits zwischen den Sicherheitsbehörden selbst und zusätzlich auch mit den Ausländerbehörden gegeben, die sich mit Amri befasst hatten. Die Geheimdienstkontrolleure bitten die Bundesregierung in ihrem Beschluss, sämtliche bei BfV und BND vorliegenden Unterlagen sowie Auszüge aus Datenbanken zur Verfügung zu stellen. Als Berichterstatter der Fraktionen wurden nach dpa-Informationen die PKGr-Mitglieder André Hahn (Linkspartei), Hans-Christian Ströbele (Grüne), Uli Grötsch (SPD) und Armin Schuster (CDU) benannt.
Die Funktion eines Ständigen Beauftragten des Kontrollgremiums, der den Abgeordneten mit einer eigenen Mannschaft zuarbeitet, gibt es erst seit einer Geheimdienstreform im vergangenen Herbst. Die Änderungen waren auch eine Konsequenz aus der NSA-Affäre um die Zusammenarbeit des BND mit dem umstrittenen US-Geheimdienst National Security Agency. In diesem Zusammenhang hatten sich Unzulänglichkeiten bei der Geheimdienstkontrolle gezeigt. Dem geheim tagenden PKGr fehlte in den Jahren zuvor oft die Zeit für eine tiefere Kontrolle der Dienste. Schlatmann soll die Abgeordneten nun bei der Kontrolltätigkeit unterstützen.
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