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Behindertenbeauftragter zum Arbeitsmarkt„Bitte keine Sonderwelten“

Zu viele Menschen mit Behinderung landen nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt , sagt der Behindertenbeauftragte des Bundes, Hubert Hüppe.

Schwierige Suche: Zu wenige schwerbehinderte Menschen finden einen Job außerhalb von Behindertenwerkstätten. Bild: dapd
Interview von Johannes Wendt

taz: Herr Hüppe, die Arbeitsmarktzahlen für den September wurden am Donnerstag veröffentlicht. Noch im August waren rund 177.000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos. Hat sich das im September gebessert?

Hubert Hüppe: Die Situation hat sich verbessert. Es sind jetzt etwa 4.000 weniger. Das ist der Trend der letzten Monate. Davor war es immer so, dass der Rückgang der Arbeitslosenzahlen bei den Schwerbehinderten mit den allgemeinen Zahlen nicht mithalten konnte. Inzwischen ist das anders. Aber die Zahlen sagen eigentlich wenig aus.

Warum?

Die Zahlen zeigen nur die arbeitslos gemeldeten Menschen. Sie sagen nichts darüber aus, wo Menschen mit Behinderung arbeiten. Im letzten Jahr gab es bei den Werkstätten einen Zuwachs von 7.000 Personen mit Behinderung. All diese Menschen sind aber nicht im ersten Arbeitsmarkt integriert.

Aber sind die Werkstätten nicht trotzdem wichtig?

Sicher, aber wenn sich deren Anzahl in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt hat, gibt mir das zu denken. Der Förderapparat entwickelt einen gewissen Sog.

Bild: dapd
Im Interview: 

HUBERT HÜPPE, 56, ist Diplom-Verwaltungswirt und CDU-Mitglied. Hüppe ist seit 2009 Behindertenbeauftragter des Bundes. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Inwiefern?

Wenn sie einmal in der Werkstatt sind, kommen sie da auch nicht mehr so schnell raus. Wenn wir über Inklusion reden – und das ist Teilhabe an der Gesellschaft –, sind wir gehalten, nach Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen. Ziel der Inklusion muss sein, dass der Mensch nicht in Sonderwelten muss, um gefördert zu werden, sondern dass die Förderung dem Menschen folgt.

Was tun Sie dafür?

Wir gehen auf die Firmen zu. Ein gutes Beispiel dafür ist die Firma Auticon aus Berlin. Dort arbeiten 16 Behinderte in der Software-Prüfung. Viele Betriebe merken, dass es sich lohnt, gerade Menschen mit Behinderung einzustellen.

Welche Möglichkeiten bestehen noch?

In Mainz gibt es das Budget für Arbeit, bei dem ein Großteil der Kosten des Arbeitgebers das Land übernimmt. Das ist einer der Wege, den ich stark befürworte. Diese Jugendlichen in Rheinland-Pfalz haben wirklich Chancen außerhalb der Werkstatt.

Ältere Menschen machen 80 Prozent der schwerbehinderten Menschen aus. Welche Möglichkeiten gibt es denn für diese immer größer werdende Gruppe, in den Arbeitsmarkt zu gelangen?

Das ist schwierig. Wir müssen herauskriegen, unter welchen Bedingungen die Betriebe diese Leute weiterbeschäftigen können. Ich glaube, wir müssen da vorher ansetzen – beim betrieblichen Eingliederungsmanagement.

Also bei der Vorsorge, die Betriebe leisten müssen, damit die Mitarbeiter nicht betriebsunfähig werden.

Ja, bevor er oder sie den Arbeitsplatz verliert. In größeren Betrieben gibt es dafür Schwerbehindertenvertretungen. Solche Entwicklungen müssen früh erkannt werden. Vor allem bei den psychischen Fällen.

Was geschieht in den kleineren und mittleren Betrieben?

Die wehren sich immer noch und klagen über die Bürokratie, teilweise zu Recht. Viele der Menschen mit Behinderung im Alter gehen dann auch in die Erwerbsminderungsrente.

Da gehen wichtige Fachkräfte verloren.

Eben. Aber die Kündigung ist halt immer der einfachste Weg.

Von welchem Land können wir im Umgang mit behinderten Menschen lernen?

Ich war vor zwei Jahren in Norwegen. Da war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen mit Behinderung in einer Regelschule waren. Da guckt man in der Gesellschaft mehr darauf, was die Leute können, und nicht, was sie nicht können.

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5 Kommentare

 / 
  • WB
    Wolfgang Banse

    Rechtsanspruch für Menschen mit einem Handicap wasden ersten Arbeitsmarkt betrifft

    Für Menscehn miteinem Handicap sllte es ein Rechtsanspruch geben,im Bezugauf eine Beschäftigung auf den ersten Arbeitsmarkt.

    Niemand darf auf Grund einer Behinderung benachteiligt werden,so lautet der Passus 3 Abs 3 im Grundgesetz der bundesrepublik-Deutschland.Die Realität sieht ganz anders aus.

    Auch bei den Jobcentern werden Menschen mit einem Handicap benachteiligt,diskriminiert,stigmatisiert,wie beim Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg,wo eine Mitarbeiterin Dreistadt eine dort angesiedelten Arbeit,Bildung,Weiterbildung,Maßnahmen,die Zahlung des Tickets zum Jobcenter verweigert.Eine moderne Art der Euthasenie wird erlebbar und dies im Nachkriegsdeutschland.

    Gleiche Rechte für alle,so auch was Menschen mit einem Handicap im Bezug auf den ersten allgemeinen Arbeitsmarkt anbetrifft.

  • G
    GenferSchema

    Manche Politiker sind fernab jeglicher Realität.

    Gefängnissarbeit ist vielen Firmen in Deutschland zu teuer, sie gehen lieber hoch subventioniert in die süd-östliche EU. Ähnliches mit Behindertenwerkstätten.

     

    Manche Firmen treiben das Spiel der Steuersparmodelle/Subventionen folgend.

    Sie finanzieren Behindertenwerkstätten, das bringt ein gutes soziales Image und Abschreibung.

    Gleichzeitig gründen sie Zeitarbeitsfirmen für die auftragsbezogene Entledigung der überflüssigen Mitarbeiter. Das kann auch bedarfsgerechte Verantwortung genannt werden und steht Diametreal zu vielen deutschen Gesetzeskreisen.

     

    Diese schon prekär bezahlten Mitarbeiter kommen nun sofort in den Genuss von H4/Transferleistung was gleichzeitig die Aberkennung sämtlicher zuvor erlernter Berufe/Ausbildungen bedeutet.

    Diese erhalten zwecks Statistikfälschung und staatlicher Repressialien einen 1 Euro Job.

    Es hat seinen Grund warum ein Sicherheitsdienst von Nestle in den Behörden patroulliert, der Mord in Neuss definitiv kein Einzelfall. Die Presse darf darüber nicht berichten.

     

    Man darf dreimal raten in welchen Einrichtung der 1 Euro Job erledigt wird.

    In den Behindertenwerkstätten die zuvor jovial, sozial des ehemaligen Arbeitgebers finanziert werden.

    Behindertenwerkstätten nennen sich nicht mehr Behindertenwerkstätten, auch sie erhalten eine entsprechende steuerliche Umfirmierung, so das alle Menschen in dieser Arbeiten können.

    Auch nicht Behinderte.

    Wer ließ das Firmenkonstrukt Gemeinnützig zu? Agaplesion gAG, gGmbH? Der justiziable Widerspruch in sich und keiner geht an die Thematik.

     

    Und was wird in einer Behindertenwerkstatt hergestellt?

    Genau, Zulieferteile für die Firma, die sich ein soziales Image mittels Behindertenwerkstätten und Zeitarbeitsfirmen aufbaute. Vielleicht sollte VW genauer betrachtet werden.

     

    Eine Firma die es ähnlich auf die Spitze trieb, war Würth, die auch noch wegen Steuerhinterziehung verklagt wurde.

    http://www.we-online.de/web/de/passive_bauelemente_-_automotive/ueber_uns_pba/geschichte_pba/Geschichte_1.php

    http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-einweisung-in-behindertenwerkstaetten-372882.php

     

    Die Lüge des ersten Arbeitsmarktes.

    Solange der Staat Firmen die ihre Kerntätigkeit externalisieren, damit Verantwortungslos und nicht Nachhaltig im steuerrechtlichem Sinn wirtschaften und spezielle Steuersparmodelle zulässt, solange wird der erste Arbeitsmarkt politisch prekär demontiert.

    Die ganze Subventionspolitik der Politiker führte deutschlands Arbeitsmarkt an den Punkt, an dem er momentan steht.

     

    Gute Politik sollte an der Definition Firma, Selbstständig ansetzen und nicht Steuergelder in eine Geldvernichtungsmaschine zum Wohle der Bankenumsätze geben. Hier sollte die gesteuerte Justiz endlich eine Klärung bringen, auch in dem Punkt das die juristische Person die natürliche Okkupiert.

     

    Radikale Streichung vieler Subventionen, dem fordschen Leasing Prinzip, sollten Erfolge bringen.

    Die Diskriminierung innerhalb und ausserhalb der Firmen ist doch genau mit der aktuellen Steuer und Politik machbar. Der Begriff Steuer inkludiert Steuerung und nicht Bereicherung.

     

    Der deutsche Steuerzahler finanziert seine eigene Demontage, die SPD führte Sippenhaft für alles ausserhalb des ersten Arbeitsmarktes ein. Zuvor die Aberkennung der Ausbildung!

    Ob es noch schlimmer geht? Ja, es ist in Arbeit. Die Grenze zwischen politisch Verfolgten und prekär Beschäftigten werden Null.

    D.h. auch ein prekär Beschäftigter, Behinderte sind quasi politisch verfolgte. Im Kern ist es korrekt, die Richtung stimmt.

    Alle die nicht im ersten Arbeitsmarkt definiert werden, werden gleich gemacht.

    Die Transformation der Arbeitswelt muss zeitgleich mit geänderter Steuer/Politik einhergehen.

    Auch sollte die Lissabon/Bolognia Agenda und ihr 8 stufiger EQR Bildungsrahmen genauer betrachtet werden.

     

    Aus der Welt bestimmter Firmen:

    Morgens Psychopharmaka im Kaffee schlürfen, tagsüber in 3 Jobs arbeiten, abends nach Hause kommen und das Kind mit den Worten "Du musst lernen, du sollst es mal besser haben" schlagen.

    Damit das Kind wie die Eltern wird?

    Und die Politiker sehen nichts.

    Vielleicht sind diese behindert?

  • L
    lowandorder

    @von Michael Ziegert

    Eine pauschale Verunglimpfung der Werkstätten ist in der Diskussion um Inklusion jedenfalls nicht angemessen."

     

    Sie haben völlig recht, aber ich glaube, daß ist von Herrn Hüppe auch nicht gemeint.

    Des Pudels Kern steckt in seiner letzten Antwort - Norwegen: Behinderte in Regelschulen!

    Das - verändert das Miteinander!

    Ist man mit Behinderten in Schule oder sonst im Umfeld aufgewachsen, beieinflußt das nachhaltig die eigenen Verhaltens - und Sichtweisen.

    Dann zögert der Handwerksmeister zu kündigen oder wird im Betrieb nicht die gesetzliche Möglichkeit der Ersatzangabe( statt Einstellung) so schnell ergriffen.

    ( Dieser Ablaßhandel wird von Herrn Hüppe leider nicht thematisiert).

     

    Wir wohnten ab Anfang der 50er in der Nähe eines ' Vorwerks' für Behinderte.

    Menschen mit auffällig grünen Hüten gehörten zum Straßenbild; manche arbeiteten bei und gelegentllch.

    Und ich staunte nicht schlecht, wie meine Mutter - in den 20ern Fürsorgerin im roten Wedding - in nullmommanix raushatte, wie sie hießen, welche Unfälle, wer Kaffee mit Milch und wer nicht usw. Lustig war's immer.

    In der Penne setzte sich das später fort, ein Mitschüler mit Muskelschwund konnte anfangs noch gehen, zum Schluß trugen wir ihn ' zwei Huhn ein Gänse' im Kreuzgriff die Treppe hoch, auch in den dritten Stock.

    In Marburg waren mit der Blindenstudienanstalt und dem Bialsky-Haus Behinderte im studentischen Alltag einfach dabei.

     

    All das schärft den Blick, ist durchaus auch ernüchternd und macht gelassen für Verschroben- und Eigenheiten.

    Später für Schwerbehindertenrecht zuständig halfen mir diese handfesten Erfahrungen sehr bei der rechtlichen Einwertung der Interessengegensätze, wenn es z.B. um das Erstreiten oder Ausgestalten behindertengerechter Arbeitsplätze ging.

     

    Insoweit hat Herr Hüppe den Finger in die Wunde gelegt:

    Ausgrenzung Behinderter, spätestens ab Einschulung hat in Deutschland eine noch nicht in wünschenswertem Maße vergangene tiefbraune Tradition.

  • MZ
    Michael Ziegert

    Lieber Herr Hüppe,

     

    der Begriff "Sonderwelten" diskreditiert alle Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten.

     

    Was eine "Sonderwelt" ist liegt doch wohl im Auge des Betrachters. Für mich ist das Fließband bei Ford eine "Sonderwelt", ebenso wie ein Arbeitsplatz im Finanzamt.

    Ein guter Arbeitsplatz ist mich jener, in der ich sinnvolle Dienstleistungen verrichten oder gute Produkte herstellen kann. In der ich meinen Neigungen entsprechend arbeiten und in der ich mich gut entwickeln kann. Dies mag tatsächlich für einen kleinen Prozentsatz von Menschen in WfbM nicht zutreffen. Diese müssen ihren Möglichkeiten entsprechend auf den "Ersten Arbeitsmarkt" vermittelt werden. Nur so wie Sie es darstellen, klingt es, als sollten alle Menschen aus den Werkstätten raus. Das wäre unverantwortlich und würde nicht der Tatsache gerecht, dass wir froh sein können, dass so viele Menschen in Werkstätten gut gefördert werden.

     

    Eine pauschale Verunglimpfung der Werkstätten ist in der Diskussion um Inklusion jedenfalls nicht angemessen.

     

    Mit freundlichem Gruß

    Michael Ziegert

  • E
    emil

    regelschule? nicht mit uns, wir haben sonder- und förderschulen. leistungshomogene gruppen sind zwar auch nicht besser, interessiert aber niemanden.

    ist bildung eigentlich der größte bereich wo permanent wider dem stand der wissenschaft gehandelt wird?