piwik no script img

Behinderte Kinder illegal in WaldorfschuleSchulpflicht verletzt

Vier behinderte Kinder besuchen eine süddeutsche Waldorfschule illegal - ihre Eltern wollen sie nicht auf die Sonderschule schicken. Die Schule kämpft um die Integration.

Behinderte Schüler dürfen bisher nicht in normale Schulen gehen. Bild: dpa

Für den Jungen gibt es die Schultüte, für die Eltern den bösen Brief. Kurz nach der Einschulung ihres Sohnes Balthasar in der Waldorfschule Emmendingen bei Freiburg erhalten Sissi und Peter Fischer Post vom Regierungspräsidium - mit dem Hinweis, dass der Schulbesuch "derzeit nicht rechtmäßig und damit auch die Schulpflicht Ihres Sohnes nichterfüllt wird". Balthasar hat das Down-Syndrom. Geht es nach den Behörden, muss er deswegen in die für ihn vorgesehene Sonderschule.

Auch die Eltern der übrigen drei behinderten Erstklässler haben einen Brief von den Behörden bekommen. Eine Mutter berichtet gar von einem Anruf aus dem Regierungspräsidium, bei dem sie über den Rechtsbruch informiert und dazu gedrängt worden sein soll, ihr Kind in eine Sonderschulklasse zu schicken. "Wir haben alle einen ziemlichen Schreck bekommen", sagt Sissi Fischer. Vier Kinder im Südwesten gehen nun de facto illegal zur Schule - um der Sonderschule zu entgehen. Damit erreicht der Streit um die Waldorfschule Emmendingen eine neue Stufe.

Seit 13 Jahren unterrichtet die Schule im Rahmen eines so genannten Integrativen Schulentwicklungsprojekts Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam. Gutachter haben der Schule stets gute Arbeit bescheinigt. In diesem Sommer haben die Behörden den befristeten Schulversuch allerdings nicht verlängert - und ab da wurde es kompliziert. Die Schule sah ihren Integrationsansatz gefährdet, da die angrenzenden Landkreise angedroht hatten, bei der Gelegenheit die Fahrtkostenzuschüsse für die behinderten Schüler zu streichen.

Nach langem Hin und Her mit den Behörden schien sich ein Kompromiss abzuzeichnen: Für die Klassen 2 und 12 wird der Schulversuch um ein Jahr verlängert, nicht jedoch für die Eingangsklasse. Für die erste Klasse schlug das Regierungspräsidium der Waldorfschule vor, formell einen eigenen Sonderschulzweig zu gründen, um weiter behinderte Kinder aufnehmen zu dürfen. So sollte für alle bisherigen und neu angemeldeten Schüler zumindest vorerst Rechtssicherheit geschaffen werden (taz berichtete).

Das beantragte die Schule auch - doch nun lehnte das Regierungspräsidium ab. Die Begründung: Ein Sonderschulzweig kann nur dauerhaft genehmigt werden, nicht als Übergangslösung für eine Klasse. "Wir wollten nur die erste Klasse als Sonderschule genehmigen, ohne dass dadurch eine Vorentscheidung für die Zukunft getroffen wäre", erklärt Schulgeschäftsführer Michael Löser, der darauf hofft, sein Integrationsprojekt noch vor Gericht durchsetzen zu können. Im Frühjahr rechnet die Schule mit einer Entscheidung des Freiburger Verwaltungsgerichts.

Immerhin hat das Regierungspräsidium angekündigt, den vier Familien, die ihre Kinder mit der Ablehnung nun illegal auf die Waldorfschule schicken, bis dahin keine Schwierigkeiten zu bereiten. Von Bußgeldern und polizeilichen Maßnahmen sehe man ab, heißt es aus der Behörde.

Der Emmendinger Fall offenbart einen Schwachpunkt des Landesschulgesetzes: Außerhalb von befristeten Projekten und rechtlich kompliziert gestrickten Kooperationen zwischen Sonder- und Regelschulen ist keine Integration behinderter Schüler vorgesehen. Eltern haben keinen Rechtsanspruch, ein behindertes Kind an einer normalen Schule anzumelden. Ein Gutachten der Max-Traeger-Stiftung sieht Baden-Württemberg besonders weit entfernt von den Vorgaben der UN-Behindertenkonvention, in der sich Deutschland zu mehr Integration in seinem Schulsystem verpflichtet. Die Konvention wurde im November in den Bundestag eingebracht und soll demnächst verabschiedet werden.

Der Emmendinger Fall und die neue UN-Konvention haben die Integrationsbewegung im Südwesten beflügelt. Am Freitag überreichten Elternvertreter Kultusminister Helmut Rau (CDU) 2.200 Unterschriften für ein neues Schulgesetz. Und 300 Eltern sind in dieser Woche in Freiburg auf die Straße gegangen - um für die Waldorfschule zu demonstrieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!