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Begegnungen haben ihren Preis

Das Konzept klingt klar: Die Bremer Innenstadt soll ein Ort der Begegnung werden. Eine Anlaufstelle war zwei Jahre lang das „Umzu“ in der Innenstadt. Doch jetzt musste es schließen, weil die Stadt kein Geld mehr bereitstellt

War mal ein lebendiger Glaskasten: das „Umzu“ in der Bremer Innenstadt 2024 Foto: Christian Burmester/Projektbüro Innenstadt Bremen

Von Lotta Drügemöller

Am Hanseatenhof, mitten in der Bremer Innenstadt, steht ein leerer Glaskasten; seit Anfang Juli ist er verwaist. Früher war darin mal ein Blumenladen, dann kam das „Umzu“: Ab Juli 2023 hatte das städtische Projektbüro Innenstadt diese Experimentierfläche aufgebaut, „für die Erprobung von Konzepten abseits des Einzelhandels in der Innenstadt“; ein Raum, den Initiativen oder auch Einzelpersonen kostenfrei bespielen konnten, mit Vorträgen, Ausstellungen oder Workshops.

Dass es Bedarf an einem solchen Raum in der City gab, zeigte sich schnell: „Es war, als hätten alle darauf gewartet“, erzählt die Verantwortliche Sonja Broy vom Projektbüro Innenstadt. „Kaum waren wir da, bekamen wir schon fertige Exposés zu Projekten.“ Schon ein paar Wochen nach der Eröffnung war das Glaszimmer bis Ende des Jahres ausgebucht.

Insgesamt 72 verschiedene Ver­an­stal­te­r*in­nen nutzten es – für ganz unterschiedliche Ideen. In einem Reparaturcafé konnten nach Feierabend gemeinsam Klamotten repariert werden; Kinder wurden über ihre Rechte aufgeklärt; Kunststudierende nutzten die 40 Quadratmeter für erste eigene Ausstellungen; ein Projekt für Mehrsprachigkeit etablierte kleine Sprachkurse für Rumänisch oder Lesungen auf Luanda, Französisch und Bulgarisch.

Doch seit Ende Juni ist Schluss: Die Förderung durch das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ) ist ausgelaufen – und die klamme Stadt Bremen hat keine Möglichkeit gesehen, den Ort auf eigene Kosten fortzuführen.

Rund 50.000 Euro im Jahr kostet der Betrieb, darin enthalten sind die Miete, die Organisation sowie eine kleine Unterstützung für die Initiativen, die den Ort bespielen. „Auch wenn es nur ein relativ kleiner Betrag ist: Die Haushaltslage lässt es leider nicht zu, dass wir die auslaufende Unterstützung des Bundes durch bremisches Geld ersetzen“, sagt der Sprecher der Senatskanzlei, Christian Dohle.

Dabei ist die Strategieentscheidung des Senats grundsätzlich klar, die Strategie „City Bremen 2030+“ wurde erst vor Kurzem bei einem sogenannten „Binnenstadtdialog“ vorgestellt: Die Innenstadt, so die Grundannahme, kann nicht länger nur auf den darbenden Einzelhandel setzen; belebt werden soll die City stattdessen mit einem Mix aus Geschäften, Gastronomie, Wohnen, Wissenschaft – und Begegnungsorten. „Wir wollen diesen Wandel gestalten, vom reinen Handelszentrum hin zu einem lebendigen Ort der Begegnung“, so wird Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) auf der Homepage vom Projektbüro Innenstadt zitiert.

Im Zentrum der Strategie – und im Fokus der Aufmerksamkeit – liegt ein anderer halb verlassener Ort: das Horten-Gebäude, direkt gegenüber vom bisherigen Umzu. In diesem größten Gebäude der Innenstadt residierte lange Galeria Kaufhof, zuletzt ein paar Jahre lang ein Möbelgeschäft. Aktuell ist nur noch der Saturn-Markt übrig: Ganz oben liegt der, in der dritten Etage. Die Rolltreppen fahren die Kun­d*in­nen durch leere Stockwerke dorthin.

Das Gebäude hat die Stadt vor einiger Zeit gekauft – ein Coup, um die Entwicklung der Innenstadt wieder selbst in die Hand nehmen zu können. Momentan streitet sich die Koalition noch, ob der 70er-Jahre-Bau stehen bleiben darf oder ob Abriss und Neubau die richtige Lösung sind. In einem aber ist man sich schon einig: Das, was hier entsteht, soll nicht nur auf klassisches Shopping ausgerichtet sein, sondern „lebendiger Erlebnisort“ werden, mit „kon­sumfreien Orten und einem starken öffentlichen Raum“.

Auf das Horten-Gebäude hatte auch das Projektbüro Innenstadt gehofft und dort die Zukunft des Umzus gesehen. Doch nun ist schon Schluss, während die Planungen für das Gebäude noch in den Anfängen stecken. An Geld scheitern wird das neue Quartier wohl nicht: Mit 300 Millionen Euro wurde die eigens ins Leben gerufene Stadtentwicklungsgesellschaft Brestadt ausgestattet, um Kauf und Umbau zu realisieren.

Es ist nicht ganz fair, diese Summe neben die Kosten für das Umzu zu stellen – schließlich konnte die Stadtentwicklungsgesellschaft das Geld als Kredit aufnehmen und kann mit einem neuen Quartier gegenüber Banken und Stabilitätsrat einen handfesten Gegenwert vorweisen; die 50.000 Euro dagegen müssen aus dem laufenden Haushalt finanziert werden.

Das „Umzu“ war Reparaturcafé, Ausstellungsraum und Lernort für Sprachkurse – insgesamt 72 Ver­an­stal­te­r*in­nen nutzten es für unterschiedliche Angebote

Doch Gebäude allein werden am Ende den Wunsch nach Begegnung nicht auffangen können. Die Forderung bleibt folgenlos, wenn sie nicht finanziert wird. „Bei Konferenzen“, erzählt die Umzu-Verantwortliche Broy, „nicken immer alle begeistert, wenn es um dritte Orte geht.“ Gemeint sind damit in der Sozialwissenschaft Orte, die neben dem eigenen Zuhause und der Arbeit für Begegnungen zur Verfügung stehen, ohne Konsum­pflicht. Aber: „Auch dritte Orte haben ein Preisschild – das wird irgendwie vergessen“. Eine Miete wird fällig, irgendwer muss das Programm kuratieren, die oft ­ehrenamtlichen Initiativen brauchen für ihre Projekte Betreuung.

Auch im Glaskasten vor dem Horten-Eingang hätte das Umzu bis zur möglichen Fertigstellung eines neuen Quartiers überdauern können: Einen neuen Mieter gibt es noch nicht. Das wird auch nicht leicht: Auf den 40 Quadratmetern gibt es keine Toilette, keinen Lagerraum, nicht einmal eine eigene Heizung. „Uns erreichen immer mal wieder Anfragen für die Fläche – aus den genannten Gründen stellt sie sich jedoch für die Interessierten meist als doch nicht geeignet heraus“, schreibt Pressesprecherin Andrea Bischoff von der zuständigen Wirtschaftsförderung Bremen.

Die Projektverantwortliche Broy will nun in den nächsten Wochen versuchen, das Know-how für die Zukunft zu sichern: „Es geht jetzt ganz viel ums Dokumentieren.“ Sie selbst wird nur noch bis Herbst dabei sein, auch ihre Stelle wurde durch das ZIZ-Programm des Bundes gefördert und läuft aus.

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