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Befreiungsschläge für die Ewigkeit

„Gegen Ende der Zeit“: Unerbittlich vergeht die Zeit, unaufhörlich schafft sie eine Jahreszeit nach der anderen heran – der Erzähler John Updike ist wieder einmal auf der Suche nach dem großen Sinn. Was bleibt, ist Beklommenheit

Nachts ist es am schlimmsten, das Grauen am größten. Da sorgen Durchschlafstörungen und die alte, kranke Blase dafür, dass den pensionierten Börsenmakler Ben Turnbull die Einsicht überfällt, am Ende zu sein: „Meine berufliche Nützlichkeit vorbei, meine Frau eher Zuchtmeisterin denn Trösterin, mein Körper ein Sumpf, in dessen Tiefen sich eine zum Tode führende Krankheit zusammenbraute“.

Turnbull ist Held und Ich-Erzähler in John Updikes neuem Roman „Gegen Ende der Zeit“, seinem achtzehnten, und es braucht nicht viele Seiten in diesem Buch, um das Gefühl zu bekommen, diesen Mann einigermaßen gut zu kennen.

Man ist ihm schon öfters begegnet in Updikes weitverzweigter Romanwelt. Als Harry Angstrom in der Rabbit-Tetralogie, als Roger Lambert in „Das Gottesprogramm“ oder als John Updike in „Selbst-Bewusstsein“ – ihre Sorgen, ihre Ängste, ihre Obsessionen sind auch die von Turnbull, und ihre Erlösungsphantasien, ihre Suche nach größeren Sinnzusammenhängen umtreiben auch ihn. Älter als seine Vorgänger ist Turnbull zwar, obwohl erst 66, und auch etwas gebrechlicher – tatsächlich muss er wegen eines Prostata-Tumors bald operiert werden, und die Folgen sind für einen Updike-Mann wie ihn fatal. Turnbull stammt aus ärmlichen Verhältnissen, er weiß noch, „dass es bei den Zankereien immer um dasselbe ging, darum, dass es nicht reichte“. Doch er hat sich hinaufgearbeitet und lebt jetzt finanziell wohl abgefedert ein beschauliches Leben an der Ostküste – obwohl die Welt um ihn herum in Trümmern zu liegen scheint.

Das alte Amerika, das Updike in fast jedem seiner Romane gern am Ende seiner Kräfte zeigt, ist nun endgültig kollabiert. Updike hat seinen Roman in das Jahr 2020 verlegt, und ein vier Monate dauernder Atomkrieg zwischen den USA und China hat Millionen von Menschenleben gefordert und einen Großteil der Infrastruktur der USA zerstört. Der Dollar ist durch den Welder ersetzt worden, Steuern werden nur noch „von kriminellen Elementen“ in Form von Wege- und Schutzzöllen erhoben, eine Bundesregierung gibt es nicht mehr.

Apocalypse now, die alte Ordnung ist zusammengebrochen, und es scheint, als schaue Updike, der alte, konservative Kulturpessimist, in diesem Roman, was nach so einer Katastrophe überhaupt noch geht. Doch eigentlich stimmt er auch in „Gegen Ende der Zeit“ vor allem die altbekannten und schönen Lieblingsmelodien an, die sich um den Gedeih und vor allem dem Verderb seines Protagonisten selbst drehen. In Ben Turnbulls Welt nämlich hat der Krieg kaum etwas verändert. Nichts an seinem Tagesablauf, nichts an seinen trüben Gedanken, nichts an der Tatsache, dass ihn die Vergänglichkeit des eigenen Fleisches sorgt, der Ekel vor der Steifgliedrigkeit, den zu langen Haaren in den Nasenlöchern, den weißen krebsigen Knötchen auf der Haut usw.

Mit anderen Worten: die „diffuse Angst vor der Zeit an sich“, die Angst vor dem Tod. Die Strategien, diese Angst in den Griff zu bekommen, kennt Turnbull natürlich. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und weiß seit seiner ersten Heirat nur zu genau, wie man Ehebruch buchstabiert und mit ihm umgeht: „Meine Ehe, das wusste ich, war zum Scheitern verurteilt durch diesen Vertrauensbruch oder durch die, die danach noch kamen, aber ich war wieder lebendig in diesem beständigen unmittelbaren Gefahrenmoment, in dem Tiere ein gesundes Leben führen.“

Befreiungsschläge für die Ewigkeit, Sex als unverzichtbares Lebenselixier – auch wenn es in Turnbulls Sexleben nicht mehr so rund läuft und er sich eine Geliebte höchstens noch imaginieren kann. Das liest sich dann zwar im Wechselspiel mit den Beobachtungen über den eigenen Verfall manchmal wie ranzig gewordene und selbstgefällige Alte-Männer-Pipi-Prosa. Doch in großen Teilen gehen Turnbulls Introspektionen ziemlich unter die Haut, die sind wahr, weise und reif, und Turnbull erscheint als ein Mann, der nicht gerade Sympathie verströmt, dessen Lakonik und Auswegslosigkeit aber für ihn einnehmen.

Eine andere Strategie, dem Tod aus dem Weg zu gehen, ist das Buch selbst. Turnbull versucht „mit dem Niederschreiben dieser konfusen traurigen Notizen“, die Zeit anzuhalten, schreibend möchte er der Zeit, „die unaufhörlich eine Jahreszeit nach der anderen heranschafft“, ein Schnippchen zu schlagen. Das gelingt ihm naturgemäß nicht: Das Buch beginnt mit dem ersten Schneefall im November und endet ein Jahr später zur selben Zeit – die Wetteransage hat wieder Schnee angekündigt. Doch immerhin scheint er durch die detaillierte und schön zu lesende Beschreibung der ihn umgebenden Natur immerhin den Platz für das eigene kleine Leben genauer lokalisieren zu können. Bisweilen „verzweigt“ sich da für ihn auch das Universum, und dann ist Turnbull Grabräuber im alten Ägypten, Apostel Markus, Mönch im Mittelalter, Nazischerge, der Mann, der seine Frau mit der Prostituierten Deirdee betrügt. Turnbull erkennt immerhin, dass selbst diese Möglichkeiten einer Existenz voller Sünde und Endlichkeit gesteckt haben. Einen Ausweg aber gibt es für ihn nicht, trotz sehr realer Erkenntnisse über das Universum, trotz eines Himmelsrings, den Turnbull zu sichten meint (Gott!): keine Erlösung, keinen Sinn.

Was ihm bleibt, sind Beklommenheit, Zaghaftigkeit und Sätze wie dieser: „Eines Tages werde ich ebenso vergessen sein, ebenso zerbröselt und wieder eins mit dem Staub wie der grunzende, gierende, hungrige, knochenbrüchige Neanderthaler. Ich kann es einfach nicht glauben. Und das ist ganz sicher dumm von mir.“ GERRIT BARTELS

John Updike: „Gegen Ende der Zeit“. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 400 Seiten, 45 DM

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