: Befleckte Geburten
Bis in die späten 80er-Jahre verstümmelten katholische Gynäkologen in Irland Frauen bewusst bei der Geburt. Viele Kinder starben oder wurden schwer verletzt. Erst jetzt wollen Betroffene klagen
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Nichts hatte auf Komplikationen bei der Geburt hingedeutet. Patricias Baby war zwar etwas größer als der Durchschnitt, aber das war kein Grund zur Beunruhigung, versicherten die Ärzte. Als sie aus der Narkose erwachte, war ihre Blase zerfetzt. Ihr Sohn Derek war am Arm schwer verletzt und benötigte jahrelang physiotherapeutische Behandlung. Das war 1986. Im Krankenhaus im irischen Ballinasloe erklärte man ihr damals, sie habe Riesenglück gehabt, dass die Ärzte eine Technik beherrschten, die ihr und ihrem Kind das Leben gerettet habe: die Symphysiotomie. Dabei wird der Gebärenden die Knorpelfaserverbindung zwischen den Schambeinen durchtrennt. Dadurch lässt sich das Becken der Frau „wie ein Scharnier“ öffnen, so beschrieb es eine Ärztin.
Die barbarische Prozedur stammt aus Lateinamerika. In den Vierziger- und Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gingen Ärzte auch in Irland verstärkt dazu über, die Symphysiotomie bei überdurchschnittlich großen Babys anzuwenden, wie die Wissenschaftlerin Jacqueline Morrissey herausfand. Sie hat über den Einfluss katholischer Ethik auf die irische Medizin promoviert. „Ihr Motiv war rein religiöser Natur“, betont Morrissey, „es gab keinerlei medizinische Gründe dafür.“ Die katholischen Gynäkologen – andere gab es damals kaum – befürchteten, dass Schwangere in Versuchung geraten könnten, Verhütungsmittel zu benutzen oder sich sterilisieren zu lassen, wenn sie wiederholt mit Hilfe eines weniger drastischen Kaiserschnitts gebären würden.
Noch heute ist der irische Ärzteverband so stark vom katholischen Ethos durchdrungen, dass Ärzte, die eine Abtreibung vornehmen, aus dem Verband ausgeschlossen werden. Das kommt einem Berufsverbot gleich. Die Ärzte damals argumentierten zwar nicht, dass ein Kaiserschnitt gefährlich sei. Alex Spain, später der Vorreiter der Symphysiotomie in Irland, hatte bei einer Frau sieben Mal einen Kaiserschnitt vorgenommen. Aber, so Spain, der Kaiserschnitt sei weder vom Berufsstand noch der Gesellschaft akzeptiert. „Das Ergebnis sind Verhütung, Verstümmelung durch Sterilisation und Eheprobleme.“
So führte Spain 1944 im Nationalen Gynäkologischen Krankenhaus in Dublin die Symphysiotomie ein. Im ersten Jahr waren es lediglich vier Fälle, vier Jahre später war die Zahl auf 43 gestiegen. Sein Nachfolger Arthur Barry führte innerhalb von sieben Jahren sogar 165 Symphysiotomien durch, andere Krankenhäuser zogen nach.
Bereits damals geißelten englische Ärzte dies als mittelalterliche Prozedur. So fragte Professor Chassar Moir aus Oxford 1951 die Mediziner der Royal Academy of Medicine in Dublin: „Ist es denn ihre Politik, das erstgeborene Baby zu opfern und seinen toten oder sterbenden Körper als Rammbock zu benutzen, um das Becken der Mutter zu dehnen, damit spätere Brüder und Schwestern einen leichteren Eintritt in die Welt haben?“
Die Symphysiotomie ist nicht nur für die Gebärende mit großen und oft monatelang anhaltenden Schmerzen verbunden, sondern endet für die Babys oft tödlich oder mit schweren Verletzungen. Bei Arthur Barry starben knapp 8 Prozent aller Babys. Über die Verletzungen gibt es keine Statistik. Den irischen Ärzten war das Risiko durchaus bewusst. „Die Früchte der Symphysiotomie werden erst in den nachfolgenden Geburten geerntet“, schrieb Kevin Feeney vom Dubliner Coombe Hospital in seinem Jahresbericht 1953.
Erst Mitte der Sechzigerjahre ging die Zahl der Symphysiotomien zurück. Barrys Nachfolger Kieran O’Driscoll hatte 1966 in einer groß angelegten Studie festgestellt, dass unter den mehr als 1.500 Geburten an seinem Krankenhaus lediglich vier überdurchschnittlich große Babys waren. Die Zahl war willkürlich heraufgesetzt worden.
Wie Patricias Fall zeigt, wurden an manchen Krankenhäusern Symphysiotomien dennoch bis in die späten Achtzigerjahre angewendet. Vielleicht werden sie es heute noch. Patricia war damals 40 Jahre alt, sie hatte zwei Töchter im Teenageralter, die normal geboren worden waren, und eine Adoptivtochter. Derek war ein Nachzügler, Patricia hatte nicht mehr mit einem Kind gerechnet, weitere wollte sie nicht. Das „Scharnier“, das ihr eingebaut wurde, war überflüssig. Patricia ist religiös, sie kritisiert ihre damaligen Ärzte nicht. Viele ihrer Leidensgenossinnen denken anders. Durch Jacqueline Morrisseys Arbeit sprach sich in den vergangenen Jahren herum, dass diese furchtbare Operation gang und gäbe war. Mehr als 300 Frauen haben sich inzwischen zu einem Interessenverband zusammengeschlossen und wollen auf Schadenersatz klagen.