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Archiv-Artikel

Bedingt lesebereit

Norbert Juretzko war beim BND und hat jetzt ein skandalheischendes Aussteigerbuch geschrieben: „Bedingt einsatzbereit“

Mal wieder so ein Aussteigerbuch. Man kennt das Schema: Ein frustrierter Geheimdienstler fühlt sich von seinen Vorgesetzten schlecht behandelt. Dabei ist er doch einer der Besten und Erfolgreichsten der ganzen „Firma“! Selbstverständlich ist er auch Demokrat bis in die Knochen, was sich bereits daran zeigt, dass er dem SPD-Ortsverein im niedersächsischen Celle vorsteht. Da macht man sich Gedanken und kann irgendwann gar nicht mehr anders, als die Brocken hinzuschmeißen und sich seinen ganzen Ärger „mit großer Offenheit“ von der Seele zu schreiben.

So einer ist auch Norbert Juretzko: ehemals Fallschirmspringer und Ausbilder für Einzelkämpfer bei der Bundeswehr, 1984 zum Bundesnachrichtendienst gewechselt, aus dem er Anfang 2000, wie er sagt, „aus gesundheitlichen Gründen“ wieder ausschied.

Da in diesen Berufssparten gute Schriftsteller eher selten zu finden sind, steht ihm bei seiner Abrechnung der professionelle Journalist Wilhelm Dietl zur Seite. Wirklich besser ist das Buch dadurch leider nicht geworden. Wie in diesem Genre üblich halten sich die angekündigten Enthüllungen in engen Grenzen. Wo liegt beispielsweise der Erkenntnisgewinn, wenn man erfährt, dass die geheimdienstliche Ausspähung des Abtransports russischer Atomsprengköpfe vom Territorium der früheren DDR Anfang bis Mitte der 90er-Jahre unter dem Codenamen „Black Foot“ lief? Harte Fakten erfährt man damit nicht.

Nicht sehr viel anders sieht es auch bei der Schilderung der einstigen Geheimorganisation „Gladio“ aus, die die Nato zur Hoch-Zeit des Kalten Krieges wie ein unsichtbares Spinnennetz über ihre Mitgliedsstaaten gelegt hatte. Im Falle eines sowjetischen Einmarschs sollten deren Agenten hinter den feindlichen Linien Sabotageakte verüben. Für den deutschen Gladio-Ableger will Juretzko Agenten geworben haben. Und das ging so: Man guckt sich unverdächtige Normalbürger aus und stellt in einem fingierten Interview für ein fiktives Meinungsforschungsinstitut ihre Gesinnung fest. Danach offenbart man sich als BND-Mann, die Umworbenen rufen Hurra, und ab geht’s in den nächsten Wald zum Verbuddeln der Ausrüstung. Zum Schluss noch ein gemeinsames Schnäpschen, und wieder wurde dem Iwan ein Schnippchen geschlagen.

Wenn es denn auch tatsächlich so gelaufen sein sollte, es trägt zur weiteren Aufhellung wenig bei. Untersuchungsberichte, die nach der Aufdeckung von Gladio in verschiedenen europäischen Staaten veröffentlicht wurden, sind da zweifellos aufschlussreicher.

Ohnehin sind die meisten Angaben in „Bedingt dienstbereit“ bestenfalls im mühsamen Abgleich mit ähnlichen Büchern und anderen Berichten zu überprüfen. Und auch über den ineffizienten Behördenalltag des BND sowie die wechselseitigen Intrigen quer durch alle Ebenen haben sich schon andere Luft gemacht. Nichts Neues also.

Ebenso wenig bringt Juretzko neues Licht in die so genannte Rübezahl-Affäre um den früheren BND-Abteilungsleiter Volker Foertsch, der in den Verdacht geraten war, ein russischer Doppelagent zu sein. Dabei laufen nahezu alle Handlungsstränge des Buches konsequent auf diese Affäre hin, die der Autor 1998 maßgeblich losgetreten hatte. Der Maulwurf-Vorwurf war letztlich nicht zu beweisen. Nach Darstellung Juretzkos wurde die Sache aus politischen Gründen vertuscht. Dass er zu dieser Sichtweise allen Grund hat, ergibt sich bereits daraus, dass auch ihm im Verlauf der Affäre der Prozess gemacht wurde, weil er Akten manipuliert haben sollte. Ende 2002 wurde er zu einer elfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Just an dieser Stelle, 15 Zeilen vor Ende des Buches, findet Norbert Juretzko doch noch einen Maulkorb, und Schluss ist mit der „Offenheit“: Über seinen Prozess darf er nicht berichten, da die Verhandlung „bis heute der Geheimhaltung“ unterliegt. Glaubwürdiger macht der leicht durchschaubare Taschenspielertrick das Buch nicht.

Auch dass die Bundesanwaltschaft Anfang September gegen das Autorengespann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Offenbarung von Staatsgeheimnissen eingeleitet hat, verleiht ihm keine besondere Seriosität. Dass auf Seite 87 des Buches detailliert das Originalrezept für Rote Grütze enthüllt wird, kann kaum der Grund für das staatsanwaltliche Engagement sein. Vielmehr handelt es sich um eine Art Pawlow’schen Reflex, der immer dann auftritt, wenn Ex-Agenten zu Literaten mutieren. Im Grunde hat es also ebenso wenig zu bedeuten wie der Versuch des früheren Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer, einzelne Passagen des Buches schwärzen zu lassen, weil er sich darin verleumdet sieht. OTTO DIEDERICHS

Norbert Juretzko, Wilhelm Dietl: „Bedingt einsatzbereit. Im Herzen des BND. Die Abrechnung eines Aussteigers“. Ullstein Verlag, Berlin 2004, 383 Seiten, 24 Euro