Bayerns Flügelstürmer Thomas Müller: Kreisklasse auf Weltniveau
Thomas Müller verspringt beim Auswärtsspiel in Schalke beinahe jeder Ball – dann führt er die Bayern zum Sieg. Er trotzt dem neuen Druck von der Bank.
GELSENKIRCHEN taz | Thomas Müller hält den Kontakt zur Basis. Schon bei den Treffen mit der engsten Familie erfährt er, wie es in den Niederungen des Volkssports Fußball zugeht. Müllers Bruder Simon spielt für den TSV Pähl in der „Kreisklasse 3 Zugspitze“. Thomas ist der Stolz des Dorfes und erst recht des Vereins, denn dort begann auch er seine Laufbahn.
Inzwischen bringt er es auf 35 Länderspiele bei erst 23 Jahren und einen Vertrag beim FC Bayern. Am vergangenen Samstag bestritt Müller mit den Münchnern das Topspiel der Bundesliga beim FC Schalke 04 vor mehr als 60.000 Zuschauern. Müller fühlte sich dennoch, als spiele er mit seinem Bruder auf einem Dorfsportplatz vor Alpenpanorama.
„Ich habe mich sehr geärgert, dass mir der ein oder andere Ball versprungen ist. Da bin ich mir vorgekommen, als wenn ich in der Kreisklasse spiele“, sagte er. Diese Phase dauerte 50 Spielminuten. Thomas Müller war ein heißer Kandidat für eine Auswechslung in einem mauen Spiel, für das beide Seiten mehr Mut angekündigt hatten, als sie lange aufbrachten.
Der Mann, der über den edlen Kader der Bayern und die Zahlen auf der Tafel des Vierten Offiziellen zu bestimmen hat, sagte: „Ich habe keine Sekunde daran gedacht, ihn auszuwechseln.“ Trainer Jupp Heynckes verteilte ein sehr spezielles Lob an Müller, als er ihm bescheinigte, „nicht ballsicher“ zu sein.
„Er ist unberechenbar“
Wer Bastian Schweinsteiger an guten Tagen (wie er am Samstag wieder einen erwischte) den Ball gibt, hat ihn quasi in einem Tresor verschlossen. Wer Thomas Müller anspielt, setzt auf ein Risiko, das im Lauf eines Spiels schon irgendwann belohnt werden wird. „Er ist unberechenbar“, lobte Heynckes in direkterer Form.
Der gleiche Thomas Müller, der sich 50 Minuten auf dem Niveau des TSV Pähl wähnte, war dann in den entscheidenden sieben Minuten der Partie die prägende Figur. Erst scheiterte er mit einem Kopfball ganz knapp (51.), dann legte er nach einem energischen Dribbling für Toni Kroos zum 1:0 auf (55.), bevor er nach einem weiteren energischen Lauf seinen vierten Saisontreffer erzielte (58.).
Das kurze Zucken des Rekordmeisters hatte den FC Schalke 04 so sehr beeindruckt, dass die Gegenwehr völlig erlahmte. „In der zweiten Halbzeit haben wir gezeigt, was für eine Klassemannschaft wir haben“, freute sich Heynckes.
Vier Bundesligaspiele, vier Siege, fünf Punkte Vorsprung auf den Titelverteidiger Borussia Dortmund: der FC Bayern hält, was er versprach, und führt dies auf die Transferoffensive des Sommers zurück, die 70 Millionen Euro gekostet hat. „Es gab schon in der vergangenen Saison Stimmen, die gesagt haben, dass wir uns breiter aufstellen müssen. Das ist jetzt geschehen“, sagte Kroos. „Es ist gut, wenn du das Gefühl hast, auf der Bank sitzt noch einer, der nachlegen kann“, sah auch Müller eine neue Qualität beim FC Bayern.
Die vielfältigen personellen Möglichkeiten, die der Klub nun hat, haben ihn zwar in der Bundesliga noch keine Einsatzminute gekostet, dafür saß er in der Champions League gegen den FC Valencia zunächst auf der Bank. Ständig „unter Zugzwang“ zu sein, um sich für die Startelf zu qualifizieren, sei für ihn „eher motivierend als belastend“, sagte Müller. Jedem gerecht zu werden und gleichzeitig weiter erfolgreich zu sein, sei „keine einfache Aufgabe für den Trainer“.
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