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Archiv-Artikel

Bayern braucht einen Diktator

Der katalanische Korrespondent Eugeni Xammar amüsierte sich 1922/23 über Adolf Hitler und den bayrisch-bierseligen Separatismus. Seine Berichte sind erhellend, selbst wenn er irrt

„Jeder sollte in seinem Leben mindestens einen Putsch miterlebt haben“, schrieb der katalanische Journalist Eugeni Xammar am 17. November 1923 in der Zeitung La Veu de Catalunya (Die Stimme Kataloniens). Begeistert ist er von Hitlers „großartigem“ Putsch im Münchener Bürgerbräukeller in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923; amüsiert von Hitlers nächtlicher Regierungsbildung und dessen „Marsch auf Berlin“, der bekanntlich am Odeonsplatz endete. In Xammars Augen war der bayrische, bierselige Separatismus ein Witz. Der Katalane nahm Adolf Hitler, den Anstreicher, nur bedingt ernst. Und das änderte sich auch nach 1933 nicht.

In vielen Reportagen mutiger, ja unabhängiger Geister paaren sich Hellsichtigkeit und historische Irrtümer, so auch bei Eugeni Xammar, der von 1922 an aus Deutschland schrieb. Der Berliner Berenberg Verlag, der sich mit Trouvaillen aus der Weimarer Republik bereits vielfach hervorgetan hat, legt nun Xammars zwischen 1922 und 1924 entstandene Deutschland-Reportagen unter dem Titel „Das Schlangenei“ vor. Das spielt auf die berühmte Shakespeare-Stelle im Stück über Julius Cäsar an: „Darum denkt ihn wie ein Schlangenei, // Das, ausgebrütet, verderblich würde wie seine ganze Art // Und also tötet ihn noch in der Schale.“ Doch Xammar denkt Hitler nicht als Schlangenei, seine Texte leben nicht von einer bösen Vorahnung, eher von britischer Nonchalance.

So lautet der Titel des äußerst detaillierten Berichts aus dem Bürgerbräukeller „Der Putsch als Spektakel“. Nationalismus wie Antisemitismus werden heruntergespielt. „Der stämmige General [Ludendorff]“, so Xammar, „streckte zufrieden den Arm mit der geballten Faust aus, als hielte er eine unsichtbare Pfanne in der Hand, in der Europa wie ein Omelett die entscheidende Wendung machte.“

Xammar hielt den Gestus der Usurpation in prägnanten Bildern fest, doch offensichtlich erschien ihm das Ganze als hohle Inszenierung. Noch am Tag vor dem Putsch ließ er Adolf Hitler in einem Interview zu Wort kommen: „Wenn wir wollen, dass Deutschland lebt, müssen wir die Juden vernichten.“ Xammars Kommentar dazu verkennt jedoch die Lage: Hitlers „Ansichten über das Judenproblem“, seien „klar und äußerst erheiternd“. Die Reportage kostete Xammar seinen Job, da Hitlers Äußerungen über Spaniens Antisemitismus dem Herausgeber nicht genehm waren.

Auch gegenüber Adenauers Rheinlandplänen pflegt der Journalist Anfang der 1920er-Jahre im Wesentlichen ironische Gelassenheit und gelegentlichen Sarkasmus. Dabei enthalten viele Äußerungen kleine Seitenhiebe auf die Heimat: „Ein Land ohne Diktator kann heutzutage nicht von sich behaupten, ein richtiges Land zu sein. Und darum benötigt Bayern, das ein richtiges Land ist […], unbedingt einen Diktator.“

Weit weniger distanziert hingegen schreibt er über die Lebensbedingungen der „unbedeutenden Leute“, die durch Inflation und Besetzung auf dem „Schlachtfeld“ der Politik aufgerieben zu werden drohen. Aus der Tatsache etwa, dass die Menschen vom „5. Friedenswinter“ sprechen, schließt er auf die verbreitete Not und das Ausbleiben des Übergangs zur Normalität. Die Inflation rechnet er haarklein durch und den Siegermächten vor. Offensichtlich, so sein Fazit, sterben gerade „multimillionäre Völker am ehesten hungers“. Sehr eindrücklich sind seine knapp gefassten Schilderungen, wie stark die Bevölkerung unter Besetzung und Inflation leidet. Zum besseren Verständnis hätte man sich allerdings eine Zeittafel sowie hier und da mehr Anmerkungen gewünscht.

In einem der kürzesten Kleinode des Bandes werden die schwarzen Tauschmärkte und die schwarzen Besatzungssoldaten im Ruhrgebiet beschrieben. Wilde Verhältnisse herrschen im Land der Verlierer: „Das Natürlichste wäre, dass ein Schwarzer beim Anblick einer Trambahn reagiert wie ein Weißer beim Anblick eines Löwen und blindlings drauflosschießt.“ Tut er nicht, aber Xammar macht deutlich, dass die Besatzer das Recht haben, sich alle Rechte zu nehmen. Der fremde Blick erhellt die Zeit. Den eigenwilligen Beobachtungen dieses leidenschaftlichen Reporters wünscht man viele, viele Leser. MARIE LUISE KNOTT

Eugeni Xammar: „Das Schlangenei. Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922–1924“. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Berenberg Verlag, Berlin 2007, 180 Seiten, 21,50 Euro