Bayern bezwingt Schalke: Der Glaube an das ganz, ganz Große
Nach dem Sieg auf Schalke in Unterzahl und vor der Reise nach Manchester wähnt sich der FC Bayern wiedergeboren und wohl auch zu Höherem berufen.
GELSENKIRCHEN taz | Auf den ersten Blick wirkt Mark van Bommels Aufforderung ein wenig seltsam. Jetzt, wo die entscheidende Phase der Fußballsaison angebrochen sei, sollten die Kollegen "aufpassen, dass sie nicht in die Stadt gehen und komische Klamotten kaufen", sagt der Kapitän des FC Bayern. Offenbar fürchtet der einzige Spieler im Kader, der schon einmal die Champions League gewonnen hat, die weit verbreitete Neigung, sich verfrüht für Erfolge zu belohnen. Bei genauerem Hinsehen verrät die Aufforderung jedoch sehr viel mehr über das aktuelle Befinden der Mannschaft von Trainer Louis van Gaal: Die großen Dinge laufen nach den Siegen gegen Manchester und auf Schalke ganz hervorragend, das Team hat freie Kapazitäten, sich mit den Feinheiten des Fußballsports zu beschäftigen.
Die Bayern scheinen sogar so sehr in sich zu ruhen, dass die intensiv diskutierte Frage, ob der zuletzt so überragende Arjen Robben nach seiner Muskelverletzung am Mittwoch wieder mitwirken kann, in den Augen van Gaals nur ein Detail am Rande. "Wir sind nicht so abhängig von Ribéry und Robben, wie viele denken", meint der Trainer. Der FC Bayern ist beflügelt von einer alten Magie: dem unbeugsamen Glauben, Großes, ja sehr Großes erreichen zu können. Robbens Weltklassetreffer im Pokal auf Schalke, die spielerisch beachtliche Darbietung gegen Manchester und das Kunststück, drei Tage später souverän in Unterzahl auf Schalke zu gewinnen, haben den FC Bayern verändert. Die vage Hoffnung, wieder eine große Mannschaft zu sein, ist dem festen Glauben an die eigene Stärke gewichen.
Wer noch daran zweifelt, muss nur Uli Hoeneß zuhören, die Sätze des Präsidenten erklingen wieder im alten Sound der absoluten Siegesgewissheit. "Die guten Mannschaften zeichnet aus, dass sie im Duell der Giganten zeigen, wozu sie in der Lage sind", sagt Hoeneß. Seine zwischenzeitlichen Zweifel an van Gaal scheinen endgültig verflogen, denn die Arbeit des Trainers trägt genau im richtigen Moment Früchte. Das zeigt sich nicht nur an den Ergebnissen.
FC Schalke 04 - Bayern München 1:2 (1:2)
FC Schalke 04: Neuer - Höwedes (85. Schmitz), Westermann, Bordon, Rafinha - Matip (43. Baumjohann) - Farfán, Kluge (58. Hao), Rakitic - Edu, Kuranyi
Bayern München: Butt - Lahm, van Buyten (22. Demichelis), Badstuber, Contento - Altintop, van Bommel, Schweinsteiger, Ribéry (68. Pranjic) - Müller, Olic (70. Gomez)
Schiedsrichter: Gräfe (Berlin)
Zuschauer: 61.673 (ausverkauft)
Tore: 0:1 Ribéry (25.), 0:2 Müller (26.), 1:2 Kuranyi (31.)
Gelbe Karten: Kuranyi (4), Rafinha (8) / Butt (1), Demichelis (4)
Gelb-Rote Karten: Bordon (90.+4/wiederholtes Foulspiel) / Altintop (41./Foulspiel)
Die Mannschaft spielt nicht überragend, aber sie kann flexibel auf unterschiedliche Spielsituationen reagieren, sie hat die kostbare Gabe, in den wichtigsten Augenblicken ihren effizientesten Fußball zu spielen, sie verfügt über eine "große Opferbereitschaft" (Hoeneß), und sie ist austrainiert. "Ich stelle nur Spieler auf, die zu hundert Prozent fit sind", behauptet van Gaal. So reiste Robben gar nicht erst mit nach Schalke. Den Flug zum Rückspiel in Manchester (Mittwoch, 20.45 Uhr, Sat.1) wird er zwar antreten, über seinen Einsatz wird aber erst kurzfristig entschieden. "Wir sind mit Inter Mailand das einzige Team in Europa, das noch in allen drei Wettbewerben vertreten ist, das ist unglaublich", sagt van Gaal stolz.
Skeptiker können nun einwenden, dass Manchester in München keineswegs spielte wie ein Champions-League-Titelanwärter, dass Schalke eher am eigenen Meisterschaftstrauma scheiterte und dass die Defensivprobleme der Münchner weiter sichtbar sind. Aber vielleicht hat der FC Bayern sich jenseits dieser weltlichen Dinge tatsächlich in den vergangenen Wochen die Mentalität des Unbeugsamen zurückerobert, die 2001 zum entscheidenden Faktor auf dem Weg zum Europapokalsieg wurde. "Der Geist ist wichtiger als der Körper", sagt auch van Gaal.
Und in Kopf wirken die Münchner genau im richtigen Augenblick stärker als die Konkurrenz. Manchester United ist nach der Verletzung von Wayne Rooney (englische Medien bezifferten am Montag die Chancen, dass er am Mittwoch aufläuft, auf 40 Prozent), der 1:2-Niederlage gegen Chelsea vom Wochenende und dem Verlust der Tabellenführung ebenso angeschlagen wie Bayer Leverkusen, der nächste Gegner in der Bundesliga. Sollten die Bayern dann das Halbfinale in der Königsklasse erreichen, trifft das Team entweder auf Bordeaux oder Lyon, die Finalteilnahme scheint da keineswegs utopisch. Allerdings weiß van Gaal auch, dass sein Team kaum alle Wettbewerbe gewinnen wird, "wir müssen abwarten, wo wir den Tod finden", formuliert er etwas schräg. Aber irgendwie wächst der Glaube, dass im WM-Jahr mehr möglich ist, als die immer gleiche Party mit Meisterschale und DFB-Pokal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“