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Bauhaus-Direktor über eine historische Avantgarde"Wir brauchen neue Akteure"

Denn man kann Gestaltungsfragen nicht von politischen Fragestellungen trennen: Ein Gespräch mit Philipp Oswalt, dem neuen Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Dessau, wo Bauhaus zu Hause ist. Bild: dpa
Interview von Ronald Berg

Bild: dpa
Im Interview: 

Philipp Oswalt, zum 1. März neuer Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, ist ausgebildeter Architekt und wurde international bekannt durch das Forschungsprojekt "Schrumpfende Städte", die Organisation der Zwischennutzung des Palastes der Republik in Berlin (Volkspalast 2004) und seine Kritik an der Planung des Humboldt-Forums in der barocken Hülle des abgerissenen Berliner Stadtschlosses. 1964 in Frankfurt am Main geboren, war Oswalt langjähriger Redakteur der Architekturzeitschrift archplus. Nach seiner Mitarbeit im Büro OMA/Rem Koolhaas 1996/97 gründete er ein eigenes Büro in Berlin, 2003 war er Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft Urban Catalyst zu temporären Nutzungen in europäischen Metropolen. Oswalt unterrichtete zuletzt an der Universität Kassel als Professor für Architekturtheorie und Entwerfen und ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung.

taz: Herr Oswalt, wie lässt sich der Mythos Bauhaus heute noch fruchtbar machen?

Philipp Oswalt: Der Mythos wird dann problematisch, wenn damit etwas festgeschrieben wird. Man kann von dem Bauhaus eigentlich gar nicht reden, es gab immer eine Vielzahl von Bauhäusern. Interdisziplinär mit den Mitteln der Gegenwart für die Gegenwart zu arbeiten, dieser Ansatz des Bauhauses, Dinge neu zu denken, ist heute für mich der interessanteste Anknüpfungspunkt. Das Bauhauskonzept ist aus der historischen Situation des Scheiterns erwachsen, als der Imperialismus der europäischen Nationalstaaten im humanitären Desaster des Ersten Weltkriegs kulminierte. Das Bauhaus war eine unmittelbare Reaktion darauf. Man wollte neu anfangen und begann mit Elementarformen und Elementarfarben. Auch wenn für uns heute eine solche Tabula rasa zumindest zwiespältig und fragwürdig ist, so hat ein solcher Denkansatz in seiner Radikalität jedoch immer noch Relevanz.

Zu Bauhaus-Zeiten galt noch die Gleichung: anders gleich links.

Das Bauhaus in Dessau war zentraler Teil einer sozialdemokratischen Modernisierungsstrategie, dafür hatte man die Bauhäusler in die Stadt geholt. In der Folge entstanden Siedlungsbauprojekte wie in Dessau-Törten. Aber die Akteure am Bauhaus positionierten sich unterschiedlich: Gropius war als Direktor ein Stratege, der sich möglichst unpolitisch gab. Hannes Meyer, der Nachfolger, war bekennender Marxist. Gropius hat im Kalten Krieg dann den Mythos Bauhaus von allem Politischen entschlackt und gesäubert, um das Bauhaus in den USA der McCarthy-Ära als das gute, andere Deutschland zu verkaufen. Man kann aber Gestaltungsfragen nicht von politischen Fragestellungen trennen. Das gilt auch für die Fragen der aktuellen Stadtplanung. Man kommt nicht umhin, das Politische zu denken, um zu sinnvollen Antworten zu kommen.

Politisch gefragt: Für wen nimmt das neue Bauhaus dabei Partei?

Das war am historischen Bauhaus schon gar nicht so eindeutig. Die Parole "Volksbedarf statt Luxusbedarf" kam erst unter Hannes Mayer ans Bauhaus. Aber einen Kandinsky oder Klee hat das nicht sonderlich interessiert. Wir sind heute auch nicht mehr entwerferisch tätig, wir bauen keine neuen Siedlungen. Wir können aber Ideengeber sein. Als Kulturinstitution sind wir frei vom Druck unmittelbarer Verwertungsinteressen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, auch kritische Diskurse zu führen, für die es sonst keinen Ort gibt. Es war kein Zufall, dass ein früheres Projekt von mir, die "Schrumpfenden Städte", im Kunstkontext gelandet ist, weil im Rahmen der Städtebaupolitik das Thema ein Tabu war. Gefördert wurde es von der Bundeskulturstiftung.

Wollen viele vor Ort in Dessau mit dem Bauhaus nicht einfach möglichst viele Touristen anzulocken?

Das muss ja kein Widerspruch zu anspruchsvollen Inhalten sein. Die kann man auch an Touristen vermitteln.

Die beschlossene Rekonstruktion des im Krieg zerstörten Meisterhauses von Gropius halten Sie aber dabei nicht für die angemessene Methode?

Ich sehe das sehr kritisch. Ironischerweise sind es hier ganz ähnliche Probleme wie beim Berliner Schloss. Es gibt die Sehnsucht nach der Rekonstruktion der äußeren Hülle, bei einem ganz anderen Innenleben und mit einem nicht tragfähigen Nutzungskonzept.

Zeugt nicht der Wille zur Rekonstruktion auch bei einem Bauhausgebäude davon, dass die Moderne endgültig historisch geworden ist?

Die klassische Moderne ist Geschichte, völlig klar. Für mich beginnt die Moderne mit der Aufklärung und dem Industriekapitalismus im 19. Jahrhundert, sie hat verschiedene Phasen durchlaufen und setzt sich bis heute fort. Für die Moderne ist die Gleichzeitigkeit verschiedener Formen und Stile charakteristisch. So gab es in den 1920er-Jahren ja durchaus auch konservative Architekturen. Und umgekehrt war die Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts ebenso eine Epoche der Moderne, auch wenn sie stilistisch gesehen historisierend daherkam.

Warum muss man dann Rekonstruktionen ablehnen?

Rekonstruktion ist kein Tabu. Entscheidend ist die Frage des Was und des Wie. Und die Fälle unterscheiden sich. Das Berliner Schloss ist nicht das Gleiche wie die Dresdner Frauenkirche oder das Meisterhaus von Gropius in Dessau. Rekonstruktion sollte meines Erachtens nicht die möglichst genaue, technische Nachschöpfung von baulichen Formen sein. Rekonstruktion ist ein kultureller Vorgang, bei der ein Bild von Geschichte entworfen wird. Es geht um die Wiederaneignung einer geschichtlichen Substanz, deren Form immer in Differenz zum Original steht, und diese Differenz hat eine kulturelle Bedeutung. Beim Gropius-Haus in Dessau geht es wie beim Schloss auch um politische Konnotationen. Die Bombe, die das Haus traf, ist ja nicht zufällig vom Himmel gefallen. Gerade Mitteldeutschland war Rüstungsstandort im "Dritten Reich", in Dessau ist das Zyklon B hergestellt worden, was damals allerdings noch nicht bekannt war. Der Grundstückseigentümer wollte dann in den Fünfzigerjahren das Gropius-Haus rekonstruieren, aber das wurde im Stalinismus verboten. Der historisch überkommene Zustand dokumentiert also eine ungeheuer spannende Geschichte, viel mehr als die geplante Rekonstruktion. Gleichwohl denke ich nicht, dass man den Istzustand zu 100 Prozent musealisieren sollte.

Welche Kernfragen sehen Sie derzeit beim Nachdenken über die Gestaltung der Städte?

Aus meiner Sicht ist es notwendig, ein neues Akteursverständnis zu entwickeln. Wir haben seit den Siebziger-, Achtzigerjahren das Leitbild der unternehmerischen Stadt - Stadtplanung als eine Art von Wirtschaftspolitik zur Anziehung von Investoren. Auch vor der derzeitigen Finanzkrise hat man gesehen, dass das Modell an seine Grenzen gestoßen ist und überhaupt nur an bestimmten Standorten funktioniert, nämlich da, wo Investoren überhaupt auftauchen, also vor allem in reichen Großstädten wie Hamburg oder München. In vielen ostdeutschen Kommunen ist inzwischen verstanden worden, dass man auch auf kleinere Akteure setzen muss, die sich vernetzen. Man kann in der Stadtplanung nicht in reinen Formfragen denken. Das war in der klassischen Moderne ebenso. Es ging nicht nur darum, Zeilenbauten zu entwerfen, sondern es wurden Genossenschaften gegründet, die Kommunen tauchten als Bauherren auf und es gab neue Finanzierungsmodelle, um das Baugeschehen auf den Weg zu bringen. Sie brauchen immer ein Verständnis dafür, mit welchen Akteuren sie etwas umsetzen wollen. Ein bestimmter Akteurstypus bringt auch eine spezifische bauliche Form mit sich.

Dann kann man umgekehrt auch sagen: An der Form lässt sich manches davon ablesen, wer und was die Städte regiert?

Ich glaube, wenn man einen Lidl sieht oder ein Entertainment-Center wie am Potsdamer Platz, dann verstehen die Leute schon, welche Akteure den Platz besetzt haben.

Persönlich gefragt: Warum wollten Sie neuer Bauhaus-Direktor werden?

Das Bauhaus war für mich schon als Student eine Orientierungsmarke: Mich faszinierte der Anspruch, Gestaltung als eine gesellschaftliche Aufgabe zu verstehen und sich den Fragen der Gegenwart mit zeitgenössischen Mitteln zu widmen. Auch das Zusammenbringen unterschiedlicher Disziplinen hat an Aktualität nichts verloren. Und das Label Bauhaus hat eine ungeheuere Macht, es ist ein starker Hebel, um etwas zu bewegen.

Die Stiftung Bauhaus ist anders als das alte Bauhaus keine Schule mehr. Worum geht es in der Stiftung Bauhaus heute?

Es geht um die Pflege des architektonischen Erbes, des Bauhausgebäudes, der Meisterbauten, der Siedlung Törten, die 100.000 Besucher im Jahr anlocken. Es gibt zudem eine Sammlung, deren Archivalien ausgestellt und beforscht werden. Das ist das Historische. Dann gibt es die Aufgabe, sich in Projekten mit der Gegenwart zu beschäftigen vor dem Hintergrund des Bauhauserbes. Der dritte Bereich der Stiftung mit dem Kolleg widmet sich der Postgraduiertenausbildung. Das Stichwort Bildung ist für alles die Klammer.

Welche Projekte planen Sie jetzt als neuer Direktor?

Zum einen geht es zunächst um die Aktivitäten im Rahmen des 90-jährigen Bestehens des Bauhauses. Bei der großen Berliner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau im Juli, die von Berlin, Dessau und Weimar gemeinsam organisiert wird, bemühe ich mich gemeinsam mit den Partnern darum, dass neben dem historischen Material auch ein heutiger Blick auf die Bauhausideen geworfen wird. Dies wird durch eine künstlerische Arbeit und ein Interviewprojekt erfolgen. Für Dessau habe ich in recht kurzer Zeit eine filmische Ausstellung konzipiert, welche die künstlerisch-gestalterische Produktion am historischen Bauhaus im Bauhausgebäude lebendig erfahrbar macht. Am programmtischsten ist das Buch "Bauhaus-Streit": Hier werden die wichtigsten Konflikte um das Bauhaus von 1919 bis 2009 dargestellt. Das ist nicht nur eine Bauhausgeschichte, sondern auch eine Geschichte des Verhältnisses von Kultur und Politik. Wie kaum ein anderes Kulturprojekt wurde das Bauhaus seit seinem Bestehen von rechts wie von links politisch instrumentalisiert, bis heute. Die Stiftung Bauhaus Dessau ist ein Leuchtturmprojekt nationaler Kulturpolitik, der Bund zur Hälfte an der Finanzierung beteiligt. In einer Zeit, wo starke Kritik an der Moderne geübt wird, entsteht damit ein interessantes Spannungsfeld, was wir auch mit einer Veranstaltung im Jubiläumsjahr thematisieren wollen. Im Oktober findet dann eine Konferenz in Dessau statt, die sich programmatisch der Gegenwart zuwendet und sich dem Verhältnis von Finanzmarkt(krise) und Baugeschehen widmet.

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