: Barockklänge mit elektronischem Zirpen
■ Uraufführung von Johannes Kalitzkes Oper „Molière oder die Henker der Komödianten“ im Theater am Goetheplatz
Kann die Frage nach der Unterdrückung des Künstlers in Diktaturen heute – nach dem Zusammenbruch der östlichen und westlichen Systeme – überhaupt noch aktuell gestellt werden? Der 1959 geborene Komponist Johannes Kalitzke meint ja, denn dahinter stecke etwas anderes, was auch heute noch in jeder Demokratie täglich vorkommt: nämlich die Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung zur Vorschiebung von Maßnahmen – den Fall Clinton hält er für den neuesten Fall, wie er im Interview sagte. „In der Macht der öffentlichen Meinung liegt immer auch die öffentliche Meinung der Macht“. Das ist die Quintessenz des Stückes oder soll sie zumindest sein. Dies ist Kalitzkes Thema. Er dekliniert es durch anhand einer Doppelbiographie: am Fall Michail Bulgalkow und Stalin, der dessen „Molière“-Roman verbot, weil er zu viele zeitgenössische Parallelen zu entdecken glaubte, und am Fall Molière und Ludwig XIV, der die Inzestbeschuldigung gegen den Dichter nutzte, um diesen politisch auszuschalten. Gleichzeitig strebt Kalitzke an, über die Dichter Bulgakow und Molière die Funktion des Künstlers in der Gesellschaft zu zeigen: deren Utopie einer besseren Welt, deren Versuch, das Paradies zu restituieren. Sie tun das allerdings innerhalb der Institution innerhalb der Macht. „Die Erlösungsvision braucht die Nähe zur Hölle“, so Kalitzke.
Das ist viel, vielleicht zu viel. Gerold Theobald hat in Zusammenarbeit mit dem Komponisten ein Libretto geschrieben, in dem die Ebene Bugalkow-Stalin als eine melodramatische Sprechebene gestaltet wird – die Darsteller sind Schauspieler – und die Ebene Molière-Ludwig als Oper, wobei die Oper hier auch als Metapher für die Welt des Scheins eingesetzt wird: Barockklänge sind zuhauf zu hören, es ist Theater im Theater im Theater entstanden. Kalitzke montiert traditionelle Nummernoper mit richtig schönen alten Stücken wie Aria, Duett u.a. zusammen mit durchkomponierten Formen. Letztere versetzt er mit elektronischen Zuspielungen als weiteren Kommentierungen. Über den Chor beispielsweise sind ständig Ausschnitte aus der lateinischen Messe gelagert. Die elektronischen Zuspielbänder bilden vor allem eine Verbindungsebene zwischen Sprache und Musik.
Die Uraufführung dieses ambitionierten Projektes hatte viele Meriten: die grelle, zarte, manchmal ganz altmodisch dramatische, manchmal durch ihre Montagetechniken aufregend neue Musik war in besten Händen unter Gabriel Feltz mit dem philharmonischen Staatsorchester. Die Regie von Rosamund Gilmore störte nicht, entwickelte aber kaum Komponenten, diese überbordende Inhaltlichkeit für den Zuschauer einigermaßen klar und theatersinnlich reizvoll zu strukturieren. Die Bühne ist zweigeteilt: oben steht Stalin und zieht die Menschen aus seinem Kostümfundus an, unten finden die Theateraufführungen vor Ludwig XIV in einer Art Wäschesalon statt. Stilisierte, fast zitierte Darstellungsformen wechselten unübersichtlich mit realistischen. Auf psychologisch schlüssige Momente der Verzahnungen – die auch einer differenzierten Lichtarbeit bedurft hätten – wartete man vergebens, und so blieben wenige intensive Momente einzelner mehr oder weniger intensiver Schauspieler und Sänger. Der Star des Abends war Richard Salter als Molière, ein großer Singschauspieler, der maßgeblich für den doch großen Erfolg des Abends verantwortlich war. Eindrucksvoll auch Katherine Stone als Gattin Madeleine und Daniela Sindram als Geliebte/Tochter, Graham Sanders als karrikaturaler Bilderbuchsonnenkönig, Mihail Zamfir als hysterischer Denunziant und viele mehr. Blaß blieb Hans Kemner als Bulgakov und völlig klischeehaft Kurt Ackermann als Stalin, ebenso bar jeglicher Gestaltung Fried Gärtner als Stanislawski. Einzig Eva Gilhofer als Jelena Bulgakova zeigte da mehr Format. Die Musik, die sich mindestens durch ein untrügliches Gespür für Proportionen auszeichnet, scheint mir mehr Logik und Klarheit zu bieten als dies in der szenischen Umsetzung deutlich wurde, was aber in weiteren Aufführungen ja noch passieren kann, diese Uraufführung als Auftragswerk des Bremer Theaters war belastet genug (siehe Kommentar). Es gibt nichts Undankbareres als eine Uraufführung: sicher lohnt es sich, das komplizierte Stück ein zweites Mal anzuhören und -zuschauen.
Ute Schalz-Laurenze
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