Barfuß gehen: Bei Bucheckern ist Schluss
Im Örtchen Egestorf in der Lüneburger Heide hat ein 14 Hektar großer Barfußpark eröffnet. Seine Zielgruppen: Familien, Kinder, Manager. Der erste Eindruck: Aua.
Jede Art von Kulturpessimismus bleibt am besten im Kofferraum. Denn egal, ob es nun der Gipfel der Zivilisiertheit ist oder blanker Irrsinn, mit dem Auto aus der Großstadt in ein Nest irgendwo in der Lüneburger Heide zu fahren, dort Schuhe und Socken in ein Schließfach zu sperren und mit nackten Sohlen über Kies, Bucheckern und Rindenmulch zu laufen: Grundsatzfragen wie diese stehen hier nicht zur Diskussion. Und ob es verantwortbar ist zu vermitteln: Hey, Natur kann zwar stachelig sein, aber bleib locker, in fünf Metern ist alles vorbei, und wenn es zu heavy wird, kannst du immer noch auf den gemulchten Seitenstreifen ausweichen - spielt auch keine Rolle. Wichtig ist nur: Wenn es wehtut, am besten mit der Ferse zuerst auftreten.
Der Barfußpark Egestorf ist 14 Hektar groß. Das sind 20 Fußballfelder, über den Daumen gepeilt. So viel wie vierhundert 35-Quadratmeter-Wohnungen. Halb so viel wie die Fläche des Berliner Zoos. Entwickelt hab man ihn gemeinsam mit mit Naturpädagogen, "die uns stressgeplagten Menschen vermitteln wollen, wie schön es ist, die Natur vor der Haustür wieder zu entdecken", wirbt Initiator und Geschäftsführer Jan Peters per Pressemitteilung. In anderen Worten: "Wellness pur". Ganz einfach. Spielerisch. Barfuß. Im Logo des Parks hat das B im Wort "Barfußpark" die Form eines Fußes, darüber sind fünf Zehen gemalt.
Erste Station: kaltes klares Wasser. Zunächst bis zu den Knöcheln, dann bis unter die Knie. "Einmal im Kreis bitte, das härtet ab", sagt Kathrin Jordan, die Gästegruppen durch den Parcours führt und jetzt gerade an ihren Hosenbeinen krempelt. Gut, dass gerade die Sonne durch die Wolken bricht. Ein Armtauchbecken gibt es auch: für den rechten, den herzfernen Arm. Eine Kurkapelle gibt es nicht.
Dann weiter: über Rindenmulch (sehr angenehm), Pflastersteine (hart), gewaschener Kies (aua). "Mit der Ferse zuerst", sagt Kathrin Jordan zur Erinnerung, "dann schneiden Sie sich nicht." Na dann. Hunde, übrigens, müssen draußen bleiben. Wer Probleme mit Hüfte oder Knie hat, bleibt besser auch zu Hause. Plattfüße dagegen stören nicht. Ohnehin wirken die meisten hier, als liefen sie auf rohen Eiern.
Der Barfußpark grenzt unmittelbar an das Egestorfer "Aquadies" an, ein Bio-Freibad, dessen Wasser per Kieselfilter gereinigt wird. Davor: ein Wohnmobilstellplatz, nahezu leer. Zum Ortskern sind es 15 Minuten zu Fuß, der einzige, der hier heute unterwegs ist, ist ein ergrauter Hundebesitzer mit Bauch, die Leine in der Hand. "Der Fremdenverkehr braucht Anschub in dieser Region", sagt Walter Kruse, der Bürgermeister von Egestorf, "und das nicht wenig." Denn wenn nicht gerade die Heide blüht, haben die Hoteliers hier Zeit, sich um jeden Kaffeegast persönlich zu kümmern. Insofern sei der Barfußpark für Egestorf "wie ein Sechser im Lotto".
Der erste Barfußpark ist er dagegen nicht, weder in Niedersachsen noch im Rest der Republik: rund 50 derartiger Parks waren schon vorher da. Dafür ist Peters Park einer der größten - und nach den Worten seines Initiators der einzige, der an ein Naturschutzgebiet grenzt. Von der EU floss eine Anschubfinanzierung, die Investitionssumme von 300.000 Euro bringt Peters, von Haus aus Wirtschaftsjournalist, aus eigener Tasche auf. Warum? "Weil ich", sagt Peters, "vom Erfolg des Konzepts überzeugt bin." Die Idee trage er seit zehn Jahren mit sich herum - seit einer Journalistenreise durch Österreich. Dass der Barfußpark jetzt steht, wo er steht, nämlich in dem - in den Augen von Bürgermeister Kruse -"schönsten Tal in der Heide", sei einer Freundin zu verdanken, sagt Peters. Für 20 Jahre sind die Flächen jetzt gepachtet, rund sechs Monate lang ist gebaut worden.
Auf einer Anhöhe - hinauf geht es über fiese Treppenstufen aus Waschbetonplatten, Pflastersteinen und Lamellenziegeln - hat der Verband der Landfrauen einen Kräutergarten angelegt. Zum Riechen, Schmecken, Sehen, Fühlen. Was wohl von so einem Liebstöckelstrauch übrig bleibt, nachdem erstmal eine Schulklasse daran gerochen, geschmeckt, gesehen und gefühlt hat? "Stimmt natürlich", sagt Kathrin Jordan. Dann geht es wieder abwärts.
In den 1920ern, erzählt sie, als es gerade durch ein Stück Laubwald geht, habe es hier schon einmal einen Naturerlebnispark gegeben. Nicht nur die Füße seien damals nackt gewesen: "das Gelände war umzäunt und wurde von Anhängern der Freikörperkultur genutzt", zum Sport, zur Erholung, zum Sonnenbad. "Als später die Nazis den Park übernehmen wollten, weigerten sich die Betreiber", sagt Jordan. "Die Anlage wurde geschlossen und alle wesentlichen Dokumente vernichtet."
Im nächsten Jahr soll entlang der Strecke ein Yogapfad entstehen. Schon jetzt stehen hier 30 so genannte Sinnesstationen: ein Spiegel für den komfortablen Blick in die Baumwipfel. Klettergerüste für den Nachwuchs. Auf einer Streuobstwiese ein Glücksrad, das den Unterschied zwischen Apfel- und Birnbäumen erklärt. Dazu Summsteine und Hörrohre. Nur das Baumtelefon ist noch nicht ganz fertig.
Wie wichtig "Footpower" sei, hätten schon die Altägypter und Chinesen gewusst, erklärt Jordan, ehe sie bis zu den Waden in eine Grube mit feuchtem Lehm steigt. Ein Gefühl wie bei einer Wattwanderung, kurz bevor alles zu spät ist. Wer Pech hat, trifft in der Grube auf einen Stein, was aber nur kurz schmerzt und etwa mit dem Gefühl, im Kinderzimmer ganz unerwartet auf einen Legostein zu treten, nicht im Mindesten vergleichbar ist. Mit hellbraunen Matschfüßen geht es weiter durch den Mulch, Rindensplitter kleben sich wie von selbst an die Sohlen, manche sogar ans Schienbein. Nächste Station: Torf. Weich und trocken, fast zum Hineinlegen. Gleich darauf kommt wiederum Torf, diesmal allerdings mit hektoliterweise Wasser getränkt. Wer da hineinsteigt, sinkt bis zu den Knien ein. Ist bestimmt gut für die Haut.
Bis Oktober ist der Park jetzt geöffnet. Sieben Tage die Woche. Bei Regen werden Schirme zur Verfügung gestellt, "wir hoffen", sagt Jordan, "dass auch dann Leute kommen". Mit dem Auto natürlich: Wer in Egestorf zurück zur Natur will, kommt ohne nicht weit. Rings um das angrenzende Aquadies stehen außerdem Hütten, die nächteweise zu mieten seien, so ist zu erfahren. Für Kindergeburtstage, Manager-Trainings und Wochenendtrips. Oder für jene, die einfach nur so ein bisschen länger bleiben wollen auf ihrem Weg zurück zur Natur.
Oder bis zur Schmerzgrenze. Die näher ist als vorher angenommen: Spätestens bei der Station mit den Bucheckern ist mit Sicherheit Schluss. Bucheckern sind die Härte. Ein Schritt ist gerade noch okay, der zweite führt unausweichlich an den Rand. Egal, dass dann, auf dem gemulchten Seitenstreifen stehend, nur der eine Gedanke bleibt: Mann, was bist du doch für ein Weichei.
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