: Barbie für Deutschland
Neues aus dem Schnürschuh-Theater: „Und morgen die ganze Welt“ von Jürgen Eick ist ein Stück für Jugendliche ab 14, das von Neonazis und der ersten Liebe handelt. Schon jetzt vermissen Eltern eine läuternde Wirkung des Stücks
Kann man einen Menschen lieben, der mit Dreckschuhen ins Bett steigt? Einen Menschen, der stinkt wie ein Otter, weil er nicht weiß, was ein Deo ist? Der „nicht jetzt“ sagt, wenn seine Freundin kuscheln will? Barbie schon. Sie ist zum ersten Mal verliebt und Ole, der Neonazi, ist das Objekt ihrer Begierde. Ole trägt Glatze, Halbkörpertattoo, nuckelt schon morgens an der Bierdose und hat so viel Feingefühl wie ein Kartoffelsack. Barbie klebt Bravo-Poster an ihre Wände und schläft in Delfinbettwäsche.
“Ich habe nicht zwei Jahre undercover in der Neonaziszene gelebt“, sagt Drehbuchautor Jürgen Eick, „aber viel zum Thema gelesen und recherchiert. Diese Typen funktionieren viel einfacher, als man sich das vorstellen kann.“ Sein Stück „Und morgen die ganze Welt“ feierte am Wochenende Premiere im Bremer Schnürschuh-Theater. Eine deutsche Liebesgeschichte soll es sein, wenn auch alles andere als romantisch und verkitscht. Es geht um Barbie und Ole, viel Naivität und wenig Gefühl.
„Barbie ist sozusagen die Intellektuelle, Ole nicht mehr als braune Schlägersoße“, so Autor Eick. Sie wünscht sich Zärtlichkeit, er animiert sie zum Biertrinken, da sie ihn sonst vor seinen Kameraden blamiert. Ole rutscht immer tiefer in den rechtsradikalen Sumpf, wird am Ende sogar von seinen vermeintlichen Kumpels mit dem Messer abgestochen. Barbie ist skeptisch, stellt unangenehme Fragen, wühlt in seinen Sachen. Alles scheint klar: Er der dumme Schläger, teilweise einfach eine Lachnummer (“Wir können unsere Instrumente tauschen und klingen immer noch genauso“, sagt er über seine Band) – sie die Fragende, die Nachdenkende, Skeptische.
Die Charaktere sind eindeutig zugeordnet, die Handlung ist absehbar. Eigentlich müsste Barbie ihrem Ole im Laufe des Stücks brav verklickern, dass Neonazis Idioten sind, und alles ist gut. Doch dann kommt es doch anders: Rollentausch. Ole entwickelt mit einer blutenden Stichwunde im Bauch auf einmal Gefühle, hängt an Barbie, sagt ihr, dass er sie braucht. Doch diese lässt ihn eiskalt fallen, um selbst rechts aktiv zu werden – für Deutschland, ihr Vaterland.
„Ich hatte anfangs Bedenken, als ich das Drehbuch gelesen habe“, gibt Regisseur Reinhard Lippelt zu. Wegen der undeutlichen Botschaft: Barbie mache schließlich am Ende beinah rechte Karriere und es sei fraglich, wie jugendliche Zuschauer dies verstehen würden. Trotzdem wagte er den Schritt und stellte mit Jana Köckeritz als Barbie und Michael Hinrichs als Ole ein überzeugend gespieltes Zwei-Personen-Stück auf die Beine.
Eick will, wie er sagt, nicht mit dem erhobenen Finger wedeln, sondern zwei spannende Figuren zur Diskussion stellen. Prompt kamen nach den ersten beiden Vorstellungen am Wochenende elterliche Bedenken angesaust: Die Schlussfolgerung sei nicht klar zu verstehen, beziehungsweise gar nicht da. Das Stück könne auch so verstanden werden, als wolle man Barbies Rechtsruck gutheißen. Es fehle ein bisschen mehr Zeigefinger. Allen Ängsten zum Trotz, liebe Eltern, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ganze Schulklassen nach Genuss des Stücks mit Bomberjacken und Springerstiefeln eindecken, eher gering.
Susanne Polig
Vorstellungen: 20. bis 22. 8., 26. bis 29. 8. und 3. bis 6. 9. jeweils um 10 Uhr. 14. und 15. 9. um 20 Uhr. Karten unter ☎ 0421/55 54 10
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