Barbara Riekmann über Reformpädagogik: "Kinder sollen bestärkt werden"
Reformpädagogin Barbara Riekmann verlässt nach 25 Jahren die Max Brauer Schule. Um die Stadtteilschulen macht sie sich Sorgen - und fordert einen runden Tisch.
taz: Frau Riekmann, Sie gehen nach 25 Jahren als Leiterin der Max Brauer Schule (MBS) in den Ruhestand. Mit gutem Gefühl?
Barbara Riekmann: Ja. Wir haben gemeinsam über Jahre mutig unsere Schule entwickelt. Dafür werden wir heute mit guten Ergebnissen belohnt. Aber als eine der Sprecherinnen der Stadtteilschulen blicke ich auch mit einer gewissen Sorge in die Zukunft.
Weshalb?
Die Stadtteilschulen stehen vor großen Herausforderungen. Wenn es beispielsweise bei den Anmeldungen für die 5. Klassen an einigen Schulen mit einem Anteil von bis zu 40 Prozent so genannter Inklusionskinder zu Ballungen kommt, dann entsteht ein großer Handlungsdruck. Auch der bauliche Zustand vieler Stadtteilschulen ist schlecht, die räumliche Enge wiederum an anderen Stadtteilschulen bedrückend.
Was soll die Stadt tun?
Schulen in sozialen Brennpunkten brauchen ganz viel Unterstützung. Sie müssen ihren pädagogischen Weg finden – auch und besonders für die Kinder mit besonderem Förderbedarf. Deren Potentiale dürfen nicht verloren gehen. Es müssen die besten Lehrer dorthin. Dafür müsste es an Brennpunktschulen für die Lehrer eine besondere Form der Wertschätzung geben, zum Beispiel auch durch mehr Beförderungsstellen.
Aber die MBS ist erfolgreich?
Wir haben gute Lernerfolge. Von der Klasse fünf bis zehn verdoppeln wir die Leistungsspitze. Obwohl zum Beispiel 35 Prozent unserer Kinder am Ende der 4. Klasse eine Gymnasialempfehlung hatten, schafften nach sechs Jahren 68 Prozent den Sprung in die Oberstufe.
Lässt sich der Erfolg übertragen?
Wir sind im regen Austausch mit anderen Schulen, aber Schulentwicklung geht nicht auf Knopfdruck. Entscheidend ist die Haltung. Kinder sollten in ihren Stärken gesehen und bestärkt werden. Wir sollten die Kinder erfolgsverwöhnt machen, der Blick auf die Defizite der Kinder bringt sie nicht wirklich weiter. Das sollte immer wieder reflektiert werden.
Wie kamen Sie zu dieser Haltung?
Ich meine, Bildung ist wichtig für die Demokratie. Mir war daran gelegen, den Anspruch der Gesamtschulen auf Chancengleichheit mit den Möglichkeiten der individuellen Förderung zu verbinden.
Ihre Schule wird überrannt. Ein Schulversuch erlaubte der MBS und fünf weiteren Stadtteilschulen, die Kinder nach eigenen Kriterien auswählen. Verstehen Sie, dass die SPD dies beendet?
Nein. Die jetzige Regelung, bei der nur der Wohnort zählt, schwächt die stark angewählten Stadtteilschulen, ohne die anderen zu stärken. Wir haben 2005 mit der „Neuen MBS“ viel gewagt: Statt Frontalunterricht gibt es Lernbüros. Statt Ziffernnoten gibt es Kompetenzraster, die die Schüler viel besser verstehen. Ich hatte damals weiche Knie. Aber es hat unsere Schule auch für bildungsorientierte Eltern attraktiv gemacht.
Nehmen Sie nicht anderen Stadtteilschulen die Leistungsstarken weg?
Nein. Uns ging es immer um Heterogenität – nicht nur um die so genannten „Guten“, sondern um eine repräsentative Mischung. Müssen Eltern aber befürchten, an der gewünschten Stadtteilschule keinen Platz zu bekommen, weil sie 100 Meter zu weit entfernt wohnen, wählen sie statt der Stadtteilschule gleich das Gymnasium. Das schwächt die Stadtteilschulen.
Was schlagen Sie vor?
Der Ausgleich von Disparitäten kann nicht einzelnen Schulen allein aufgebürdet werden. Für die neue Schulform Stadtteilschule werden Ressort übergreifende Strategien gefunden werden müssen. Ein runder Tisch wäre gut.
63, war seit 1979 Leiterin der Max Brauer Gesamtschule (MBS), die 2006 für ihren reformpädagogischen Ansatz mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. Ihr zu Ehren wird am heutigen Dienstag ein Symposium über den Weg der MBS und die Zukunft der Stadtteilschulen abgehalten.
An der MBS wurde auch die Profiloberstufe erfunden. Ist die jetzt durchs Zentral-Abitur in Gefahr?
Ja, zentrale Prüfungen engen zwangsläufig das inhaltliche Spektrum der Fächer, die Interdisziplinarität und das selbstständige Lernen der Schüler ein. Für das Zusammenspiel der Fächer in Profilen ist es nötig, inhaltliche und methodische Spielräume zu haben. Deshalb sind die Profile jetzt in Gefahr. Ich hoffe, dass die Politik das bedenkt.
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