Barbara J. über den Missbrauchsfall Anna: "Jugendamt war informiert"
2010 informierte Barbara J. die Behörde über den möglichen Missbrauch einer Siebenjährigen. Heute wird J. als Lügnerin hingestellt - und geht in die Offensive.
taz: Frau J., wann haben Sie das Jugendamt über die Vernachlässigung Annas* informiert?
Barbara J.: Das muss im April 2010 gewesen sein. Da habe ich zusammen mit der Großmutter von Anna der zuständigen Fallbearbeiterin, Frau R., von den untragbaren Zuständen in der Familie berichtet.
Was genau?
Wir haben berichtet, wie die Kinder gelitten haben, weil zum Beispiel der Kühlschrank meist leer war, und Anna und ihre ältere Schwester nichts zu essen hatten. Dass Anna Angstzustände hatte und von ihrer Mutter nächtelang ganz allein gelassen wurde. Anna hat immer noch ständig in die Hose gemacht – mit sieben Jahren. Und zudem hat die Mutter ständig wechselnde Männerbekanntschaften gehabt.
Kam auch ein möglicher sexueller Missbrauch zur Sprache?
Natürlich haben wir darüber gesprochen und ganz klar gesagt, dass wir vermuten, dass die Anna sexuell missbraucht wird. Das konnten wir zwar nicht hundertprozentig belegen, aber wir haben berichtet, dass Anna besonders starke Angst vor dem aktuellen Freund der Mutter hat.
Wie hat Frau R. reagiert?
Wir wurden von ihr gefragt, ob bekannt werden darf, wer diese Vorwürfe erhebt. Da Annas Oma Angst vor dem Freund der Mutter hatte, haben wir um Anonymität gebeten.
Das Amt sagt, von Missbrauch sei nie die Rede gewesen.
Es bringt mich auf die Palme, dass wir als Lügnerinnen hingestellt werden. Das ist eine unglaubliche Beleidigung, die mich nun dazu bringt, mich öffentlich zu wehren. Da geben wir aus freien Stücken dem Jugendamt solche Informationen und werden hinterher so mies behandelt. Das kann ich nicht verstehen. Ich habe mit einer Mitarbeiterin des Amtes für soziale Dienste bereits vorigen Herbst über dieses unglaubliche Verhalten gesprochen, doch da hat sie alles nur als Missverständnis dargestellt.
Was steckt dahinter?
Das Jugendamt hätte spätestens nach unserem Gespräch sofort handeln müssen. Dann wäre Anna viel Leid erspart geblieben. Da das nicht geschehen ist, darf es auch unser Gespräch nie gegeben haben.
Hatte die Jugendhilfe die Familie schon vorher im Visier?
Schon seit Jahren. Auch bei Annas älterer Schwester gab es Verhaltensweisen, die auf Missbrauch hindeuten. Marie* hat Ende der neunziger Jahre im Kindergarten immer Penisse gemalt. Das ist einer Erzieherin aufgefallen, und sie hat es der Jugendhilfe gemeldet.
Was ist daraufhin passiert?
Marie sollte ins Heim, doch sie wollte unbedingt bei ihrer Mutter bleiben. Also hat Frau R., die damals schon die zuständige Fallbearbeiterin war, angeregt, Mutter und Tochter sollten unbedingt von der Familienhilfe betreut werden. Da ist die Mutter dann zweimal hingegangen und dann nicht mehr. Danach ist nichts mehr passiert und keiner hat sich mehr gekümmert.
Es gab bereits Ende der neunziger Jahre erste Hinweise auf Missbrauch, aber passiert ist nichts?
Genauso ist es.
Nun hat Marie vor Kurzem in ihre Jugendamtsakte Einsicht genommen. Dort gab es keinen Hinweis auf diese Vorgeschichte.
Dafür gibt es für mich nur zwei Erklärungen: Entweder wurden die Akten schon damals schlampig geführt, oder der Vorgang wurde aus der Akte entfernt, weil er ein schlechtes Licht auf das Amt geworfen hätte.
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