Bankskandal in Frankreich: Der Verdächtigte redet
Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mögliche Mittäter von Jérôme Kerviel beim Milliardenbetrug am Finanzinsitut Société Generale.
PARIS taz Die Büchse der Pandora bei der Société Générale ist geöffnet. Seit gestern richtet sich der Verdacht nicht mehr nur gegen Jérôme Kerviel. Einerseits hat der 31-jährige Händler im Verhör erklärt, dass er zwar allein gehandelt habe, dass es jedoch zahlreiche KollegInnen in der Investmentabteilung der französischen Großbank gebe, die mit ähnlichen Tricks und Manipulationen arbeiteten, um ihre Resultate zu verbessern.
Andererseits wurde gestern bekannt, dass ein Verwaltungsratsmitglied der Société Générale möglicherweise illegale Insidergeschäfte gemacht hat. Robert A. Day hat am 9. Januar Aktien im Wert von 85,7 Millionen Euro abgestoßen. Das war neun Tage bevor die Bank offiziell den Betrug durch den kleinen Trader entdeckt hat und bevor der Niedergang ihrer Börsenwerte begann.
Die Pariser Staatsanwaltschaft eröffnete Montagmittag offizielle Ermittlungen gegen Jérôme Kerviel. Der Verdacht lautet auf Fälschung und Vertrauensmissbrauch. Der Beschuldigte riskiert damit bis zu sieben Jahren Gefängnis. Im Verhör hatte Kerviel am Wochenende zugegeben, dass er im Rahmen seiner Arbeit "gewisse abenteuerliche Akte" begangen habe. Als Motiv nannte er, dass er ein "besonders erfolgreicher Trader" sein wollte. Schon seit Ende Dezember 2005 will Kerviel Risiken eingegangen sein, die nicht zulässig waren. Indem er ohne Autorisierung hohe Summen auf europäische Börsenwerte gesetzt habe. Um trotz der Kontrollen seiner Arbeit, die es mehrfach gegeben habe, weiter spekulieren zu können, habe er E-Mails und andere elektronische Dokumente gefälscht. Im Verhört erklärte Kerviel, dass er keineswegs das Ziel gehabt habe, die Bank zu schädigen. Im Gegenteil: "Ich wollte als außergewöhnlicher Trader erscheinen, der die Entwicklungen der Märkte vorwegnimmt", zitierte gestern der Pariser Staatsanwalt Jean-Claude Marin. Der junge Mann, der sich am Samstag freiwillig zur Polizei begeben hatte, erhoffte, dass er sein Gehalt durch Prämien für besonders erfolgreiche Spekulationen aufbessern könnte. Allein im Jahr 2007 habe Kerviel Prämien von bis zu 300.000 Euro erwartet - dreimal so viel wie sein Jahresgehalt.
Kerviel hat ausgesagt, dass er allein gehandelt habe. Zugleich erklärte er im Verhör, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass Trader mit höheren als den zugelassenen Summen spekulierten und das mit gefälschten Dokumenten kaschierten. Der Staatsanwalt erklärte gestern, dass es für diese Behauptung bislang keine Beweise gebe.
In der Zeitung Libération sprach der Finanzexperte Pierre-Yves Geoffard gestern von einem "völligen Versagen der Risikokontrolle" bei der Société Générale, aber auch bei den ihr vorgesetzten Organismen. In der bankeninternen Hierarchie stünden etwa die Kontrolleure unterhalb der Trader.
Kerviel ist den üblichen hierarchischen Weg gegangen. Er hat als Kontrolleur in der Société Générale begonnen und ist später in die Trader-Abteilung aufgestiegen. Die Bankdirektion, die jetzt in Frankreich immer lauter angegriffen wird, begründet den Erfolg seines angeblichen Betrugs mit seiner intimen Kenntnis der Kontrollmechanismen. Kerviel soll bis zu 50 Milliarden Euro der Société Générale für seine Risikogeschäfte eingesetzt haben. Die Bank hat dabei 4,9 Milliarden Euro verloren.
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