piwik no script img

Band und Publikum sind ziemlich druff

Konzert Pflegefall der Rockgeschichte: Die wiedervereinten Royal Trux gastierten in Berlin

Der Sound hat Wumms, die Gitarre drückt einen ein Stück zurück, selbst der Gesang scheint genau richtig

Man ist wohl gekommen, um genau das zu sehen und zu hören: Jennifer Herrema deliriert über die Bühne, hat ständig eine Flasche Bier in der Hand, den gesamten Auftritt über sieht man von ihr kaum mehr als diese Schirmmütze und die blonde Haarmähne, unter der sich ihr Gesicht verbirgt. Zwischendurch beugt sie sich über das Mikrofon; sie ächzt und krächzt, nölt und grölt mehr, als dass sie singt, dazu hört man runtergebretterte Akkorde, Feedback und fiese Soli von Gitarrist Neil Hagerty. Als permanentes Hintergrundrauschen erklingt zuweilen das Surren des Verstärkers.

Roher, ungestümer und verdrogter Rock, dafür steht die Band, die Herrema und Hegarty zusammen bilden: Royal Trux. Am Freitagabend ist das New Yorker Duo im Rahmen ihrer ersten Europatour seit mehr als 17 Jahren im Berliner Club Urban Spree zu Gast. Aus dem Umfeld von Bands und Musikern wie Pussy Galore und Jon Spencer 1987 entstanden, veröffentlichten Royal Trux bis Ende der Neunziger insgesamt zehn Alben.

Mit ihrem kaputten Rockentwurf hatten Herrema und Hegarty, die auch privat ein Paar waren, in Musikerkreisen viele Verehrer. Auch eine kleine, aber feine Fanschar gab es. Aber trotz eines zwischenzeitlichen Major-Deals mit Virgin, der im Zuge der Nirvana-Nachfolger-Suche seitens der Musikindustrie ordentlich Patte in die Bandkasse spülte, blieben sie ein Nischenphänomen. Ein Pflegefall der Rockgeschichte. 2001 trennten sie sich, sowohl privat als auch „beruflich“.

Nun sind sie also wieder da. Mit „Platinum Tips & Ice Cream“ gibt es auch ein neues, live eingespieltes Album. Unterstützung bekommen sie auf der Bühne von Bassist Brian McKinley, mit dem Sängerin Herrema bei den ebenso schrägen Black Bananas spielt, und Schlagzeuger Tim Barnes, mit dem Gitarrist Hegarty auch bei seinen Soloalben zusammenarbeitete. Für ihren Berlin-Auftritt haben Royal Trux einen Club erwischt, der wie für sie gemacht scheint: dunkel, klein, stickig und ­dreckig.

Zunächst aber lassen sie auf sich warten. Eine knappe Dreiviertelstunde vergeht, nachdem die zuvor spielende Band – die Berliner Furious Few mit solidem, geerdetem Rock – die Bühne verlassen hat, ehe Royal Trux kurz nach Mitternacht loslegen. Kaum mehr als 60 Leute sind zu dem Zeitpunkt noch im Raum, und die beiden Protagonisten scheinen ziemlich druff zu sein, auf was auch immer. Die meisten im Publikum allerdings auch.

Verloren auf der Bühne

Dass das Set dann zum einen sehr kurz ist und die ohnehin schon oft nebeneinander liegenden Töne noch schräger wirken, ist deshalb gar nicht schlimm. Im Gegenteil, es ist Teil der Verabredung. Royal Trux spielen Hits wie „Platinum Tips“ (2000); man kann dabei allerdings nur erahnen, dass Herrema die schmissige Hookline „Down home lips and platinum tips / Say it like you mean it now“ singt, bevor der Song irgendwann in sich zusammenfällt.

Ähnlich bei „I’m ready“ (1998), ein simpler Rock-Stomper, der sich aber auch irgendwann verliert, wie auch die beiden an diesem Abend etwas verloren wirken da auf der Bühne. Herrema steht die meiste Zeit in sich versunken neben einem Pult mit Effektgeräten, die sie aber so gut wie gar nicht gebraucht. Hagerty scheint auch etwas in sein eigenes Universum abgetaucht. Und dennoch hat der Sound Wumms, die Gitarre drückt einen ein Stück zurück, selbst der Gesang scheint genau richtig – so ätzend und garstig, wie er rüberkommt. Denn, so denkt man sich, das ist doch genau jener Rock, den das Häuflein an Personen, das sich vor der Bühne abschießt und mitwippt, auch will: unbehaglich, ungesund und unberechenbar.

Kurios und kurz war sie also, die Rückkehr der Royal Trux nach Berlin. Mit einem noch kurioseren und kürzeren Auftritt hatte der Konzertabend bereits begonnen: Sängerin, Violinistin und Gitarristin Samara Lubelski, eine weitere New Yorker Underground-Heldin, trat solo auf. Sie spielte eigentlich hörenswerte, durch Verzerrer und Verstärker erzeugte Geigen-Drones. Allerdings absolvierte sie ihren Gig im Biergarten der Location, wo auch gerne mal ein bisschen Ballermann-Publikum zugegen ist. So wurde man Zeuge eines unfreiwilligen Soundexperiments und Wettstreits: grölende Touristen versus Violinenloops. Aber das fügte sich dann irgendwie auch gut ins Gesamtbild. Jens Uthoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen