Banalität des Bösen

■ Im Dokumentarfilm Zeitsprung wird Familie exemplarisch zu einem befragenswerten Ort
Von Doro Wiese

Die Spalleks aus Oberschlesien in Polen sind ganz normale Leute. Elisabeth Spallek ist eine resolute Frau, die ungemein leckere Kartoffelklöße kocht. Und Georg Spallek widmet seinen Lebensabend fleissigen Bienen und dem häuslichen Garten. Nur die Söhne Sebastian und Waldemar fehlen im Alltag, denn beide sind nach Deutschland ausgesiedelt. Aber auch das ist im Örtchen Kolonowski nicht ungewöhnlich. Schließlich gehört es zu den ehemaligen deutschen Kolonien im Osten, und der deutschstämmigen Bevölkerung steht die Aussiedlung frei. Dass die Spallecks mit einer deutschen Herkunft versehen sind, ist in den elterlichen Augen eine Auszeichnung. Denn Elisabeth und Georg Spallek pflegen ein ungebrochen beipflichtendes Verhältnis zum Nationalsozialismus und stehen seiner Ideologie keineswegs fern. Davon erzählt der Dokumentarfilm Zeitsprung, der heute in Anwesenheit des Regisseurs Benjamin Geissler erstmals in Hamburg gezeigt wird.

Geissler begleitete Sohn Waldemar Spallek auf mehreren Besuchen zu seinen Eltern. Im Zentrum des Films stehen Waldemars Versuche, sich mit der Familie und ihrer politischen Einstellung auseinander zu setzen. Geissler filmt und enthält sich zumeist einer offensichtlichen Kommentierung, greift nicht in die Unterhaltungen ein. Dadurch geraten Gesprächsdynamiken in den Vordergrund, die hinsichtlich der Frage, wie nazistische Überzeugungen aufrecht erhalten werden, sehr aufschlussreich sind. Gemeinsam sieht man sich Fotografien an, die der Großvater während seiner Wehrmachtszeit aufgenommen hat. Auf ihnen sind unter anderem polnische Partisanen zu sehen, die von der Wehrmacht ergriffen wurden und nun von der Erschießung bedroht sind. Waldemars Vater scheint diese Situation zu ignorieren und verfängt sich statt dessen in Schilderungen darüber, welchen militärischen Rang die Personen auf den Fotos einnehmen. Als im nächsten Foto zwei orthodoxe Juden zu sehen sind, kommentiert Georg Spallek sachlich, dieses seien Juden.

Die Eltern Waldemars sind überzeugt, dass „die Juden“ durch ihren vermeintlichen Reichtum die Weltherrschaft erlangen. Außerdem seien diese „überall auf der Welt“ anzutreffen – gerade so, als habe die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung von Juden und JüdInnen gar nicht stattgefunden. Sie haben offensichtlich einen Zeitsprung vollzogen, sich mit dem Ende nationalsozialistischer Herrschaft nie auseinander gesetzt. Und in den halbintimen Situationen vor der Kamera wird schon einmal leise gesagt, auch die PolInnen seien eigentlich Untermenschen. Das ist umso brisanter, als sie Zeit ihres Lebens mit PolInnen zusammengelebt haben. Selbst der Hinweis von Waldemar, dass er als Schwuler unweigerlich der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre, ruft kein Nachdenken hervor.

Der Film liefert ein Portrait von Menschen, für die Hitler ein Held war. Und er zeigt, daß überzeugte Nazis durchaus liebenswerte Menschen sein können. Der intime und alltägliche Bereich der Familie wird so zu einem befragenswerten Ort. Gerade darin liegt die Stärke des Films. Denn zu einer Auseinandersetzung mit den Geschehnissen während des Nationalsozialismus gehört unweigerlich die Beschäftigung mit den deutschen TäterInnen und jenen Menschen, die sich mit ihnen identifizieren. Dass der Faschismus in manchen Köpfen weiterlebt, ist zumindest in diesem Film kein Geheimnis.

heute, 20.30 Uhr, 3001