Bamf versetzt Bremer Leiterin: Rückführung nach Niederbayern
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versetzt die Leiterin der Bremer Außenstelle, Josefa Schmid, nach Bayern. Um sie zu schützen.

Ein nüchterner Relativsatz, der möglicherweise gern ein Kausalsatz geworden wäre: Denn streng genommen hatte Schmid, die bis Dienstag als kommissarische Leiterin der Bremer Bamf-Außenstelle fungierte, die öffentliche Berichterstattung ausgelöst und sie einigermaßen aktiv auf sich gezogen. Auch am Dienstagabend ist sie im ZDF wieder als Hauptfigur dessen in Erscheinung getreten, was die Medien bundesweit als den „Bremer Asyl-Skandal“ bezeichnen.
Dass der sich ausweite, war die These der Mittwochszeitungen – nachdem Nürnberger Nachrichten und das TV-Magazin „Frontal21“ einen 99-seitigen „internen Bericht“ aus Schmids Feder referiert hatten, den diese direkt an den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium geschickt hatte, Stephan Mayer (CSU). Laut Schmid soll es sich nämlich um noch 2.000 Fälle mehr als bislang gedacht handeln, durch die ihrer Schätzung zufolge ein Schaden von 50 Millionen Euro entstanden wäre.
Für wen und wie – das bleibt ungewiss. „Wie sie auf diese Summe kommt, ist uns unbekannt“, sagt der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft, Frank Passade. „Es ist auch nicht Gegenstand der Ermittlungen.“ Angestoßen wurden die durch eine Anzeige aus der Behörde im November. Ein Mitarbeiter, ein sogenannter Entscheider, behauptete, eine komplett fingierte Bewilligung sei unter seinem Account, aber nicht von ihm selbst erstellt worden. Im April hatte es schließlich eine Durchsuchung der Räumlichkeiten gegeben. Akten wurden beschlagnahmt.
Korruptionsgerüchte in der Presse
Verdächtigt wird die vorherige Leiterin der Bremer Außenstelle, Ulrike B., weil zwischen 2015 und Herbst 2017 unter ihrer Führung 1.167 Akten erledigt wurden, „für die Bremen örtlich unzuständig gewesen wäre“, sagt Passade. Die Außenstelle hätte demnach in der Zeit der zahlreichen Neuankünfte für andere, überforderte Bamf-Filialen mitgeschuftet, so die eine Lesart. Man kann in ihrer außergewöhnlichen Effizienz aber auch „missbräuchliche Verleitung zur Asylantragstellung“ vermuten, nach Paragraf 84, Asylgesetz. Das ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.
Nach entsprechenden Verdachtsmomenten suchen die Bremer Ermittler*innen derzeit. Streng genommen müsse man „jeden Einzelfall prüfen“, so Passade – 1.167 Akten. Man sei noch „ganz am Anfang“. Und „ob es überhaupt zu strafbaren Handlungen gekommen ist, ist in der Tat noch völlig offen“.
Für „Unfug“ erklärt Rechtsanwalt Erich Joester, Verteidiger von Ulrike B., die durch die Presse geisternden Korruptionsgerüchte. „Ich freue mich auf das Verfahren“, sagt er und wirkt tatsächlich bester Laune. Offen ist, wann es dazu kommt: Nachdem die Anklagebehörde die 1.167 Akten durchgearbeitet hat, muss die Anwaltskanzlei sie prüfen, dann werden Stellungnahmen verfasst. Dann, vielleicht, eine Anklage – über deren Zulassung wieder das Gericht entscheiden müsste. „Sie können sich vorstellen, wie lange das dauert“, sagt Joester. Vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober wird daraus nichts.
Was wusste die Behördenleitung in Nürnberg?
Vielleicht gibt es also gar keinen Skandal jenseits der Äußerungen von Direktkandidatin Schmid, die für die taz nicht zu erreichen war. „Das Chaos in der Bamf-Außenstelle schadet nicht nur dem Ruf Bremens, sondern hat auch Auswirkungen auf unsere Ausländerbehörden und ihre Arbeit“, beschwerte sich Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) angesichts der neuen Wirrungen beim Heimatminister Horst Seehofer (CSU). „Wir brauchen dringend verlässliche Informationen.“
Liefern könnte die wohl der seinerzeit vom Innenminister mit der Leitung des Bamf beauftragte Spitzenbürokrat Frank-Jürgen Weise. Der aber weilt derzeit im Ausland und gibt laut Hertie-Stiftung, deren Vorstandsvorsitzender er mittlerweile ist, „keine Interviews mehr zu diesen Themen“. Dabei hat Schmid in ihrem internen Schreiben den „Verdacht“ artikuliert, dass „auch die Zentrale selbst in die Angelegenheit verstrickt“ gewesen sei. Die Behördenleitung in Nürnberg habe alles gewusst – und gedeckt.
Mitarbeit im Stab von Frank-Jürgen Weise
Die Behördenleitung aber hatte damals, in einer rechtlich seltsamen Konstruktion, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, übernommen. Schmid selbst hatte zunächst in dessen Stab mitgewirkt, bevor sie vom Bamf ins Innenministerium versetzt und mit Aufgaben der Bund-Länder-Koordination betraut worden war, und dann von Deggendorf nach Bremen abgeordnet wurde. Von wo sie nun zurückkehren soll, drei Tage vor ihrer geplanten Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft. Aus „Gründen der Fürsorge“, so ein Bamf-Sprecher.
Mindestens ist es Schmid nicht gelungen, glaubhaft zu machen, „dass ihr durch die Umsetzung schwere und unzumutbare Nachteile“ drohen würden, so das Bremer Verwaltungsgericht am Mittwoch. Die Umsetzung führe ja noch nicht einmal zu einem Wohnortwechsel. Im Gegenteil, ihr Einsatzort befinde sich „sogar deutlich näher an ihrem Wohnort“, Kollnburg, und ihrem Wahlkreis Straubing.
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