piwik no script img

Ballarinahafte Ballbehandlung

Ein Besuch im Tennismuseum von Wimbledon  ■  PRESS-SCHLAG

Wir schreiben das Jahr 1877. Ein junger Bursche mit Namen Spencer Gore gewinnt als erster ein ziemlich komisches neues Wettspiel. Tennis wird es genannt und gespielt weit draußen in einem Londoner Vorort, der Wimbledon heißt. Mr. Gore, Brite natürlich, ist von der neuen Kreuz-und-quer-Schlägerei trotz seines Triumphes gar nicht so sehr angetan. Er glaubt, das Spiel werde keine große Zukunft haben, weil es die Akteure mit der Zeit fürchterlich langweilen werde.

Bekanntlich war der gute Mann ein denkbar schlechtes Orakel. Tennis wurde, nicht nur im Londoner Süden, ein recht kurzweiliges wie langlebiges Multimillionengeschäft mit einer mittlerweile so umfassenden Geschichte, daß es in Wimbledon schon ein Tennismuseum gibt. Da liegen maßgebliche Pretiosen herum, wie Beckers Siegerschuhe von 1986 (die 85er, in denen er 17jährig erstmals zum Sieg bummte, lagern vermutlich neben Vaters Minox-Kamera im Leimener Privatmuseum), Connors Patsche, Edbergs Schuhwerk mit Originalgrashalmen und diverse Lendl-Utensilien.

Erwartungsgemäß aber geht es um Exponate aus der Steinzeit des königlichen Spiels: Schlägeroriginale, die aussehen wie Schneebretter oder Ruderpaddel, Biedermeierfigürchen sowie Zeichnungen und Stiche der Jahrhundertwende, als sich noch gestandene Gentlemen und Ladys der upper middle class in herkömmlicher Kleidung zu Gartenpartys luden, um dem neuen Spiele zu frönen und die frischen Beete zu mißhandeln.

Auch hier, in der Wiege des Rasentennis vermag indes nicht geklärt werden, warum die Null der Tenniszählweise love heißt: Theorie eins, die gängige, sieht das Ei, wegen seiner Nullform aus dem Französischen l'oeuf einstmals und darob für immer dreist in englische love übersetzt. Die andere museale Mutmaßung sagt schlicht: Das Wort Liebe bedeutet „Nichts“, und deshalb.

Noch weit beeindruckender aber als diese lieblose britische Sichtweise der grundsätzlichen Tennisdinge ist jene Madame, der hier besonderer Raum zugewiesen worden ist: Suzanne Lenglen, Französin, die 1919 als erste Nichtbritin siegte, im Jahr danach auch das Doppel und das Mixed dazu gewann und bis 1925 noch weitere vier Einzeltitel.

Lenglen, quasi eine Steffi Graf der frühen Jahre, hat den gemeinhin so gemein als steif abqualifizierten Briten mächtig imponiert. Sie nannten sie „die Göttliche“, und das zuallererst wegen ihrer ballarinahaften Ballbehandlung. Diese wird schon durch das riesige Bild in der Eingangshalle dokumentiert: Da sehen wir Suzanne als langberockte Dame mit strengen Gesichtszügen und mächtigem weißen Kopftuch, wie sie in einer Art eingesprungenem Spagat über die Aufschlaglinie hüpft, nein: fliegt, nein, besser noch: schwebt.

Aber mehr als tausend Bilder sagt ein Film, und tatsächlich, es gibt bewegte Bilder der alten Meisterin aus den zwanziger Jahren, weit hinten in einem anderen Raum. Da segelt sie mit tänzerischer Leichtigkeit über den Wimbledoner Rasen, bei ihren Überkopfschlägen reckt sie das rechte Bein fast bis zur Nasenspitze, wobei sich der wadenlange Rock keckerweise immer weit über jede viktorianisch geduldete Höhe hinweglüftet. Bei Volleys streben die vier göttlichen Extremitäten in alle Himmelsrichtungen, wobei sie beim Treffen des filzigen Spielgeräts für einen Augenblick einbeinig wie eine Tennisstatue verweilt. Dann erläuft sie die Bälle, selbst wie ein federnder Softball, hechtet nach den schwersten Schlägen, aber die Contenance verliert sie nie. 1926 wurde Suzanne Lenglen Profi und ward darob auf Wimbledons edlen Amateurgründen nicht mehr erwünscht.

Und während „die Göttliche“ crosscourt dahinfliegt, fetzt draußen eine Frau Graf gerade einen weiteren Kraftservice die Linie lang. Mr. Gore würde sich manchmal bestätigt fühlen.

Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen