■ Bakelit – ein allseits beliebtes Material für alle Zwecke: zu Lande, zu Wasser und in der Luft: Trotz erheblicher Nachteile kaum mehr wegzudenken
Düsseldorf (taz) – Was haben ein Trabi und eine Trillerpfeife, eine Steckdose und ein Surfbrett miteinander gemein? Den Werkstoff Bakelit. Diesem ganz besonderen Zeug, dem ersten vollsynthetischen Kunststoff der Menschheitsgeschichte, hat das Landesmuseum Koblenz zusammen mit dem Kunststoff-Museums-Verein (ja, so etwas gibt es) eine Ausstellung gewidmet, die derzeit in Düsseldorf zu sehen ist (Landesmuseum Volk und Wirtschaft, bis 27. Februar). Es muß schließlich nicht immer Kunst sein. Die Kunststoffe haben die Welt der letzten hundert Jahre ohnehin wohl nachhaltiger verändert als alle Picassos und Pencks, Brancusis und Beuysens zusammen. Das schwante schon dem belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland (1863–1944), als er anno 1907 in den USA, auf der Suche nach einem Ersatzstoff für den knapp werdenden Schellack (eine Harzausscheidung der Stocklaus), ein Verfahren zur Herstellung von Phenolharz erfand. Dies sei „das Material für tausend Zwecke“, schwärmte er, taufte es stolz nach seinem eigenen Namen und ließ es patentieren.
Von da an ging alles ziemlich schnell. Schon 1910 gründeten die Rütgerswerke in Berlin/Erkner die „Bakelite-Gesellschaft“, die noch heute leibt und lebt. Zunächst hielt der in seiner Endstufe unschmelzbare, harte Stoff Einzug in die aufstrebende Elektroindustrie. Bereits im Ersten Weltkrieg wurde Bakelit ein strategisch wichtiger Werkstoff: Die neuesten Wunderwaffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft waren mit Instrumententrägern aus eben diesem Material bestückt; auch die Gehäuse von Feldtelefonen und Funkgeräten bestanden daraus.
Nach erfolgreich bestandenem militärischem Härtetest eroberte das Bakelit dann auch die Niederungen des Zivillebens. Ob Aschenbecher oder Füllfederhalter, Fotoapparate oder Schmuck, die Spritzgießmaschinen preßten, was die Form hielt – und inspirierten zugleich die Designer von Art deco und Stream-line. Im Jahre des Heils 1933 ging dann auch der legendäre Volksempfänger VE 301 in Serie. Bis 1939 standen bereits über zwölf Millionen des schwarzen Bakelit-Dampfradios in deutschen Wohnstuben und Küchen. Das Material für tausend Zwecke schien auch eines für tausend Jahre zu werden.
Bakelit prägte später auch die tpyische Alltagsoberfläche in beiden Nachkriegsdeutschlands – paradigmatisch seien aus der Düsseldorfer Schau der Patent-Picknickbecher „Gerda“ (West) und der „Weckglas-Verschließ-Apparat“ (Ost) genannt –, und Bakelit ist auch heute nicht aus Produktion und Konsum wegzudenken.
Das freut die Hersteller, doch der Umwelt einschließlich Homo sapiens bekommt Leo Baekelands Geniestreich nicht ganz so gut. Phenol und Formaldehyd, die Ausgangsstoffe für Phenolharz, sind bekanntlich sehr schädlich. Im Lebensmittelbereich sind darum Phenolharze schon mal gar nicht zugelassen (das Nähere regeln die Gesetzes- und Kontrollücken). Bei der Verarbeitung wird dummerweise Formaldehyd freigesetzt. Dritter Nachteil: Das Kunstprodukt ist nicht chemisch recycelbar. Die hochvernetzten Harzmolekülketten erweisen sich als total resistent. Da tröstet auch nicht ein Satz aus der Düsseldorfer Ausstellung, der da lautet, unter Berufung auf den Kohlenstoff-Charakter etwa des Bakelits: „Kunststoffe gehören in den Bereich der Chemie des Lebens, der Organischen Chemie.“
Doktor Baekeland wird schon gewußt haben, wieso er in Yonkers bei New York nicht nur Laborstudien trieb, sondern auch Wein anbaute, und warum er als „die größte Entdeckung meines Lebens“ nicht etwa das Bakelit pries, sondern seine Frau. Olaf Cless
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