Badminton-Spieler bei Olympia: „Ich bleibe danach Mensch“
Kevin Cordon ist zwar nur die Nummer 59 der Weltrangliste. Aber nun kann er die zweite Olympia-Medaille für Guatemala gewinnen.
Kevin Cordon aus Guatemala ist ein sehr freundlicher und gesprächiger Mann. Jeder Frage versucht er, so gut er kann, gerecht zu werden. Nach Worten muss er nur suchen, wenn er mit Komplimenten konfrontiert wird. Dann lacht der 34-Jährige verlegen auf, schraubt ein bisschen an seiner Trinkflasche herum, lacht wieder und findet nach einer schöpferischen Pause garantiert eine relativierende Antwort. Wenn man die große Sensation des olympischen Badmintonturniers ist, bleibt einem sogar Lob vom Gegner nicht erspart.
Der dänische Weltranglistenzweite Viktor Axelsen war nach seinem 2:0-Halbfinalsieg (18:21, 11:21) und einem hart umkämpften ersten Satz von dem flexiblen Spiel Cordons angetan, der in der Weltrangliste lediglich auf Rang 59 geführt wird. Auf diesen Befund von höchster Stelle erwiderte Cordon nach ein paar Verlegenheitssekunden: „In Lateinamerika gibt es nicht viele Badmintonspieler. Vielleicht spielen wir deshalb ein bisschen anders. Möglicherweise hat er das so gemeint.“
Seit 1992, als erstmals olympische Turniere im Badminton ausgetragen wurden, standen sich bei den Männern ab den jeweiligen Viertelfinals vornehmlich asiatische Spieler und ein paar Europäer gegenüber. Kevin Cordon hat somit in Tokio bereits eine kleine Revolution in der so beschränkten Welt des Badmintons angezettelt. In Guatemala sind die Menschen sowieso euphorisiert, weil die zweite olympische Medaille in der Geschichte des Landes in Aussicht steht. Am Montag geht es für ihn gegen Anthony Sinisuka Ginting aus Indonesien um Bronze (13 Uhr MESZ).
Die Presse berichtet großflächig, auch darüber, wie die Nachbarn und die Eltern seine Erfolge erleben. Letztere bekommen es nur erzählt, die Aufregung ist zu groß. Seit ihr Sohn 2008 in Peking erstmals bei den Olympischen Spielen auftrat, haben sie kein Spiel von ihm gesehen. Er sei schon jetzt ein Held Guatemalas, hat die einstige Badminton-Nummer 1 des Landes, Pedro Yang, gesagt. Und Kevin Cordon? „Ich werde nicht gern über meine sportlichen Leistungen definiert und lieber als Mensch gesehen. Sportlerkarrieren haben einen Anfang und ein Ende, aber Mensch bleibe ich auch danach.“
Die Sehnsucht in Guatemala nach Helden und guten Nachrichten ist immens. Gerade gibt es massive Proteste, weil der Chef der Antikorruptionsermittlung entlassen wurde. Seine Nachforschungen kamen den Regierungskreisen zu nahe. Als Sportnation fällt Guatemala bislang allenfalls in Orchideendisziplinen auf. Von den 24 Teilnehmer:innen in Tokio sind 8 Geher:innen, von denen vier wiederum untereinander verwandt sind.
Guatemala fördert Randsportarten
Die Investition in Randsportarten betreibt man allerdings in Guatemala intensiv. Kevin Cordon ist Vollprofi und erhält vom mit staatlichen Geldern gespeisten Nationalen Olympischen Komitee ein monatliches Gehalt von gut 2.000 Euro. Das ist in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas ein fürstliches Einkommen. Deutsche Badmintonspieler:innen können davon nur träumen. Trotzdem wollte Cordon nach den Olympischen Spielen in Rio, wo er sich mit einer Verletzung herumquälte, schon aufhören. Doch 2017 entschied er sich, mit seinem neuen indonesischen Trainer Muamar Qadafi einen olympischen Zyklus dranzuhängen.
Trotz staatlicher Unterstützung musste Cordon indes in der Vorbereitung mit Umständen klarkommen, die in Deutschland wiederum eher selten anzutreffen sind. Wegen strikter Coronaeinschränkungen saß er im Juni in seiner kleinen Heimatstadt La Unión fest und konnte nicht wie sonst zum Trainieren nach Guatemala-Stadt fahren. Flüge ins Ausland waren zu der Zeit auch nicht möglich. Eine Turnhalle gibt es aber nicht in seiner Heimatstadt mit knapp 24.000 Einwohner:innen. So ließ sich ein katholischer Priester in La Unión davon überzeugen, dass es mit Gottvertrauen in diesem Fall nicht getan ist und ließ in seiner Kirche einen Badmintonplatz verlegen. Der Bürgermeister und die Polizei erteilten die erforderlichen Genehmigungen. Es helfen alle mit in diesem Land, damit seine Vertreter in der olympischen Sphäre aufsteigen können. „Das war eine sehr nette Erfahrung“, berichtet Kevin Cordon in Tokio. Er hätte anders sein Leben nicht mit Trainern und Familie teilen können. Des Öfteren fährt er sonst nach Europa, um sich mit besseren Badmintonspielern zu messen.
In der Kirche, erzählt er, habe er anfangs mit seinem Bruder trainiert, der jedoch ein Amateurspieler sei. Zwei Badmintonspieler aus Guatemala-Stadt trieben das Trainingsniveau dann ein wenig mehr in die Höhe. Auf internationale Qualität musste Cordon allerdings verzichten.
Ungewöhnlich ist obendrein, dass der 34-Jährige zum Ende seiner Karriere nun seine größten Erfolge erzielt. Unter den Top Ten sind die Spieler mehrheitlich zwischen 23 und 28 Jahren alt. Cordon wiegelt ab: „Alter ist nur eine Zahl. Ich habe in meiner Karriere positive und negative Dinge erlebt und versucht, die negativen zu verändern.“ Kevin Cordon will sich sowieso nicht mit Fragen aufhalten, die er nicht ändern kann, sei es das Alter oder die Trainingsbedingungen. Eines, sagt er, sei bei allen gleich. „Wir können mit Herz und Leidenschaft spielen.“ Darauf möchte er sich konzentrieren.
Deshalb sieht er auch im Kampf um die Bronzemedaille gegen den Weltranglistenfünften Gingting Chancen für sich. Er habe heute die wichtige Erfahrung gemacht, dass er auch gegen so einen starken Gegner viele Punkte gewinnen kann. An seiner einstigen Trainingsstätte in der katholischen Kirche von La Unión wird mittlerweile gewiss wieder gebetet.
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