Baden-Württemberg stellt ein: Billig-Lehrer für die Hauptschule
Besonders konservativ regierte Länder stemmen sich gegen die Abschaffung der Hauptschule. In Baden-Württemberg sollen sich Hilfslehrer um die Schwächsten kümmern.
Ganz genau weiß Sarah Regenbrecht noch nicht, was auf sie zukommt. Aber nachdem sich die studierte Grund- und Hauptschullehrerin zuletzt als Nachhilfelehrerin durchgeschlagen hat, ist sie froh, nun an einer Hauptschule im baden-württembergischen Reutlingen arbeiten zu können. "Ich wollte einen sichereren Job", sagt Regenbrecht.
Die Chefin im Klassenzimmer wird die 32-Jährige allerdings nicht sein. Regenbrecht ist pädagogische Assistentin, eine Art Hilfslehrerin, die den Lehrer während des Unterrichts entlasten soll. 560 solche pädagogischen AssistentInnen sind erstmals vom heutigen Montag an in Baden-Württemberg im Einsatz. Und die Hoffnungen, die das Kultusministerium in sie legt, sind hoch: Sie sollen die Hauptschulen retten.
Diese waren in den vergangenen Monaten heftig unter Beschuss geraten. Mehr als 400 Grund- und Hauptschulchefs haben inzwischen einen Appell zur Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems unterschrieben. Doch während Länder wie Rheinland-Pfalz, Hamburg oder Schleswig-Holstein dabei sind, Haupt- und Realschulen zu fusionieren, hält Baden-Württemberg an den Hauptschulen fest - und will sie mit den pädagogischen Assistenten nun stärken. "Es wird weiter Haupt- und Realschulen geben", sagt Kultusminister Helmut Rau (CDU).
Die Lehr-Assistenten sollen von Klasse 5 bis 7 einzelne Schüler zur Seite nehmen können oder im Nebenraum in kleinen Gruppen Förderunterricht betreiben. Ein Studium ist keine Voraussetzung, doch neben ErzieherInnen bewarben sich auch SozialpädagogInnen und LehrerInnen, die bei regulären Lehrerstellen nicht zum Zug gekommen waren - so wie die Reutlingerin Regenbrecht. Nur etwa 30 Prozent der Bewerber an den Grund- und Hauptschulen in Baden-Württemberg wurden im vergangenen Herbst als Lehrer eingestellt.
Eine zweite Lehrkraft im Klassenzimmer zu haben und so auf schwächere Schüler individueller eingehen zu können, findet Rainer Dahlem, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), prinzipiell eine gute Idee. "Das kann sinnvoll sein", sagt er. Und dennoch hat der Gewerkschafter heftige Bauchschmerzen mit dem neuen Hilfslehrermodell. Dahlem stört die schlechte Bezahlung. Bei einer Vollzeitstelle erhalten die pädagogischen Assistenten rund 1.800 Euro, die allermeisten arbeiten jedoch nur 20 Stunden die Woche oder weniger. "Die gehen mit 900 Euro brutto im Monat nach Hause", sagt Dahlem. "Das ist nicht akzeptabel." Der Verband Bildung und Erziehung spricht einfach nur von "Billiglehrern". Das Kultusministerium verteidigt hingegen die schlechte Bezahlung. "Die pädagogischen Assistenten machen nicht den Job eines Lehrers", sagte ein Ministeriumssprecher.
Doch auch Praktiker sind skeptisch, ob der Versuch mit den neuen Hilfslehrern erfolgreich sein kann. "An der Basis wird das als Schnellschussreaktion gesehen", sagt ein Schulleiter aus Südwürttemberg. Für eine differenziertere Förderung bräuchte man mehr als 560 Teilzeit-Assistenten verteilt auf 1.200 Hauptschulen. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein." Die massiven Probleme der Hauptschulen, insbesondere in den sozialen Brennpunkten, ließen sich so kaum bewältigen.
Sarah Regenbrecht ist hingegen überzeugt, dass sie einer guten Sache dienen wird. Schließlich profitierten Lernschwache und Problemschüler von ihrer Arbeit. "Es gibt Leute, die haben die Hauptschulen und damit die Hauptschüler schon abgeschrieben", sagt sie. Doch solange es diese Schulform noch gibt, wolle sie dort auch mit anpacken.
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