Bachmann-Preis in Klagenfurt: Ich ist wieder gefragt
■ Mit Terezia Mora siegte Melancholie gegen versagende Trinker
Während Günter Grass weiter oben im Norden die letzten Pinselstriche an seiner persönlichen Jahrhundertbilanz setzte (die Kriege, die besten Fußballspiele, meine besten Bücher), mühte sich die neueste deutsche Literatur in Klagenfurt um ein wenig Klarsicht über den eigenen Standpunkt, den Ort des verdammt kleinen Autoren-Ichs in diesen großen Milleniumszeiten. Der weite, alles in sich aufnehmende Strom der deutschen Literatur hat sich, je mehr das Jahrhundert sich seinem Abfluß nähert, zu einem dünnen Strudel verengt, der fast nur noch um sich selbst kreist. Selbstvergewisserungsliteratur und immer wieder Texte, die ein Recht auf das eigene Unglück behaupten, auf die fundamentale Bedeutung des persönlichen Unglücks, gegen die Nachrichtenwirklichkeit, die mit täglich außerordentlicheren Katastrophen, das Schicksal des Einzelnen belanglos erscheinen läßt.
In vielen der Beiträge zum diesjährigen Festival der neuesten deutschen Literatur wurde der Versuch unternommen, das Ich wieder ins Recht zu setzen, ihm seine Bedeutung gegen das Weltgeschehen zurückzugeben. Daß dies meist mißlang, lag daran, daß die künstlerischen Mittel fehlten, jene Bedeutung, die der Autor seinem Text so offensichtlich mitgeben wollte, auch zu transportieren. Am gründlichsten belegte diesen Mangel Thomas Jonigk mit seinem Text „Jupiter“. Jonigk, Nachwuchsdramatiker des Jahres 1995, der zusammen mit Stefan Bachmann das „Theater Affekt“ gegründet hatte, las die Geschichte einer fünfzehnfachen Vergewaltigung, die in einer Art masochistischer Liebesgeschichte endet. Das wird alles schön drastisch ausgeschildert, mit einer Ironie unterlegt, die sich nicht vermittelt (die Vergewaltigung wird von „türkischen Mitbürgern“ verübt, wie er nicht müde wird zu erwähnen, und er schreibt: „Seine Stöße bereiteten mir keine Schmerzen. Ich bin nicht fremdenfeindlich“) und mit einer Klischee-Werbesprache für Reinigungsprodukte kontrastiert, die schon lange nicht mehr lustig ist. Nachdem ihm einige Juroren mitgeteilt hatten, daß sie seinen Text für mißlungen halten, nahm sich Jonigk noch mal fünf Minuten Zeit, um zu erläutern, was er mit seinem Text hatte sagen wollen, sprach von Oberflächen, Warenwelt und Selbstauslieferung, bekam dafür dann viel respektvollen Applaus und spielte später sogar bei der Abstimmung zur Preisverleihung noch eine Rolle. Gewonnen hat er aber nichts.
Daß man das Persönliche gegen das große Weltgeschehen aber mit Sprachkraft und poetischem Gefühl durchaus noch zu retten vermag, hat immerhin die spätere Preisträgerin bewiesen: Terezia Mora, die jüngste Teilnehmerin des Feldes und gebürtige Ungarin aus Berlin, triumphierte mit ihrer Erzählung „Der Fall Ophelia“ knapp vor dem Frankfurter Endzeitepos des in Amsterdam lebenden Thor L. Kunkel. Moras Text erzählt von einer Weltaneignung, von einem kleinen Mädchen, das, fremd in einer feindlichen Welt, sich langsam und beharrlich ins Leben kämpft. Die Texte Moras, die schon vor zwei Jahren den Berliner open-mike-Wettbewerb gewonnen haben, besitzen die schöne, sprachmächtige leichte Melancholie einer Judith Hermann. Nur ihr Stil ist etwas überladener, voller literaturhistorischer Anspielungen, ein bißchen zu glatt und ohne Brüche.
Diese Brüche gab es in dem Text des Zweitplazierten, oder auch „Ernst-Willner-Preisträgers“ Thor L. Kunkel, der einen Abschnitt aus seinem im nächsten Jahr erscheinenden Roman „Das Schwarzlicht-Terrarium“ las, genug. In schöner Bukowski-Tradition las er von einem dahinvegetierenden Trinker und stinkenden Versager, der verzweifelt seinen Körper vor der Gefräßigkeit der Amöben zu retten versucht, während alles um ihn herum langsam verfällt. Ob das aber nun gleich „das Lebensgefühl einer ganzen Generation“ ausdrückt und „ein Kultbuch werden“ wird, wie die Jurorin Ulrike Längle beschwor, das muß man vielleicht erst mal abwarten. Es beschreibt sicher mehr das Selbstverständnis der Juroren und der Veranstalter des Wettbewerbs, die immer noch hoffen, die Literatur am Puls der Zeit zu präsentieren, oder wie der Schriftsteller und Juror Robert Schindel es nannte, „einen Ort der subversiven Literatur in den Zeiten des Neoliberalismus“, während die Verlage meist nur noch praktisch schon fertige Bücher ins Rennen schikken, die sie dann mit der schönen Bachmann-Preis-Banderole schmücken können (Mora und Kunkel erscheinen im Juli beziehungsweise Anfang nächsten Jahres bei Rowohlt).
Der eigentliche Triumphator des 23. Bachmann-Wettbewerbs ist ohnehin Thomas Kapielski, der am Ende nur knapp einem der zahlreich ausgeschütteten Preise entkam. Ein schöner Triumph für ihn und sein weiteres großes Schreiben zum Scheitern. Volker Weidermann
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