"BZ"-Kampagne "Berliner Helden": Kümmern heißt jetzt Krieg
Die "B.Z." wirbt mit einer krassen Kampagne für ehrenamtliches Engagement. Das Dumme daran: Die Werbeplakate sind im Grunde zum Davonlaufen.
Meine Güte, Ehrenamt kann so schwer sein. Und es gibt offensichtlich einen großen, ungestillten Bedarf an Nächstenliebe, Sauberkeit und Ordnung in der Hauptstadt: Dein Blut für Berlin! Deine Tränen für Berlin! Dein Schweiß für Berlin!, schreien die Plakate den eingeschüchterten Passanten an.
Dazu großformatige Porträtfotos von jungen Menschen in martialischer Feinrippunterhemden-Ästhetik. Als wäre eines von Roland Emmerichs Untergangsszenarien Wirklichkeit geworden.
Der Blonde sieht aus, als wäre er gerade kräftig verprügelt worden und hätte hinterher noch einen Streifschuss abbekommen. Die einzige Heldenfrau auf den drei Motiven schweißüberströmt (aber der Lippenstift hält!), der Held mit Bart ist eigentlich ein Softie, weshalb ihm auch eine dicke Träne die schmutzige Wange hinabrinnt.
Zu Weihnachten veröffentlicht die Boulevardzeitung B.Z. eine Sonderbeilage zu ihrer Helden-Aktion. Eine Nummer kleiner geht es wohl nicht. Natürlich nicht. Denn dass sich nicht genug um Berlin gekümmert werde, hatten zuvor schon mal die Renate von den Grünen festgestellt und danach bildungsbürgerlich die FAZ.
Und die taz kürt schließlich auch die Helden des Alltags …Aber: Was will diese Bildsprache sagen? Soll man Angst kriegen und schreiend weglaufen, wenn einem ein Ehrenamt angetragen wird? Soll man ein schlechtes Gewissen kriegen, weil man nicht helfen will und die drei B.Z.-Helden mit der Situation überfordert sind?
In jedem Fall, auch wenn das immer noch nichts erklärt, haben sich die Werbeleute großzügig bei Churchill bedient: Der hielt 1940 vor dem britschen Unterhaus seine berühmte Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede zum bevorstehenden Westfeldzug der Nazis. Na dann, liebe Ehrenamtliche, auf in den Kampf.
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