BÜRGERBETEILIGUNG: Virtuell mitreden
Die SPD will ihre Regierungsinhalte erstmals von allen im Netz diskutieren lassen. Andere Parteien haben damit nicht nur gute Erfahrungen gemacht.
Die SPD entdeckt das Internet: Was im nächsten Regierungsprogramm der Partei steht, kann ab Montag netzöffentlich von allen diskutiert werden - also auch von Nicht-Mitgliedern. Linkspartei und Grüne setzen in erster Linie auf parteiinterne Debatten.
Sechs Arbeitsgruppen der SPD haben in den vergangenen Wochen Kernthesen und Eckpunkte eines Wahlprogramms debattiert, mehrere Hundert GenossInnen haben sich laut SPD daran beteiligt. Das Ergebnis kann man nun unter der allerdings wenig nutzerfreundlichen Adresse http:// programmdialog.spd-land-bremen.de nachlesen und diskutieren, kommentieren und bewerten. Mitte November wird daraus dann der Entwurf für ein Wahlprogramm formuliert. Offiziell beschlossen wird es aber erst Ende Februar kommenden Jahres auf einem Parteitag.
Für SPD-Landesgeschäftsführer Roland Pahl ist das neue Beteiligungsverfahren ein "Versuch", weitere Gruppen in die inhaltliche Arbeit einzubinden. Vor der letzten Wahl gab es zwar mal einen Kongress, auf dem Verbände, Vereine oder Institutionen über das SPD-Programm reden und "Anregungen" vortragen durften, doch diskutiert wurde nur offline, und auch nur der bereits fertige Entwurf.
Nun verspricht Pahl eine große Offenheit in der SPD-Programmdebatte: Man wolle das Forum "nicht sehr eng" moderieren, sagt er. Und Beiträge würden nur dann gelöscht, wenn die "Grenze des Zumutbaren" überschritten sei. Die Erwartungen sind offenbar gering: Man wolle sich "überraschen lassen", sagt Pahl, und hoffe auf "interessante Ideen". Immerhin wird das Verfahren nach Abschluss noch von der Uni Bremen evaluiert.
Andere Parteien haben bereits in der Vergangenheit versucht, via Internet auf neue programmatische Ideen zu kommen. So hatte die CDU im Frühjahr eine Aktion mit 100.000 Postkarten plus Internet-Forum gestartet - um so neue Antworten auf die alte Frage zu finden, wo Bremen noch sparen kann. Doch das Feedback war eher dürftig, quantitativ wie qualitativ betrachtet.
Die Bremer Grünen wiederum hatten 2006, vor der letzten Bürgerschaftswahl, schon den ersten mehr oder minder vollständigen Programmentwurf ins Netz gestellt. Doch gab es darauf seinerzeit "wenig Resonanz", wie Landesgeschäftsführer Björn Weber sagt, und auch "keine großen Veränderungen oder Kommentare". Also habe man diesmal wieder auf die "direkte Auseinandersetzung mit der Basis" gesetzt, unter anderem mit einem Kongress, der bereits im Mai stattfand, ein Jahr vor der Wahl - und der auch Nicht-Mitgliedern der Partei offenstand. Vorschläge seien da vor allem aus den Bereichen "Soziales" oder "Stadtentwicklung" gekommen, aber auch "Bildung" und "Klimaschutz" waren Thema. "Vieles" davon, sagt jedenfalls Weber, sei auch in das neue Wahlprogramm eingeflossen. Dessen Version 2.0 soll am Montag vom Landesvorstand verabschiedet und hernach im Netz veröffentlicht werden. "Letztlich müssen aber die Mitglieder entscheiden", sagt Weber - die dazu gehörige Landesmitgliederversammlung findet bereits Anfang November statt. Keine vier Wochen später soll dann auch schon feststehen, wer für die Wahl kandidiert.
Bei der Linkspartei wiederum kann zwar jeder und jede im Netz die Programmentwürfe mitlesen, diskutieren kann aber nur, wer auch ein Parteibuch hat - oder zu einer der einschlägigen Arbeitsgruppen geht. Der erste komplette Text eines Wahlprogramms wird für Ende Oktober erwartet. Dann stehen auch Landesvorstandswahlen an.
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