BUNDESTAG VERWEIGERT DISKUSSION ÜBER SICHERHEITSPAKET II: Ersatzthema: Fußball
Die Herren sprachen über Skat und Fußball. Der Bundesinnenminister erklärte, er habe aus dem Westfalenstadion hervorragende Laune mitgebracht. Dann gratulierte er Rudi Völler zum Sieg der deutschen Mannschaft. Der innenpolitische Sprecher der Union erinnerte den Minister daran, dass seine Anwesenheit beim Spiel gegen England in München dort leider keine Niederlage verhindert habe. Sein grüner Kollege wies den Unionsvizechef an, doch weiter erste Preise bei Skatturnieren zu holen, bevor er sich zur Politik äußere.
Hat da jemand Politik gesagt? In der Tat, auf der Tagesordnung des Bundestages stand die erste Lesung des Sicherheitspakets II, ein Maßnahmenbündel bislang ungekannten Umfangs und offensichtlich auch ungeahnter Wirkung. Die Redner legten nicht dar, welche der Gesetzesänderungen besonders umstritten sind. Sie arbeiteten nicht heraus, durch welche Maßnahme Bürgerrechte eingeschränkt werden und wie dies mit dem bislang gültigen Rechtsstaatsverständnis zu vereinbaren sei. Stattdessen ballerten sie sich in einem etwas irr wirkenden Reflex gegenseitig die Vokabeln Freiheit und Sicherheit um die Ohren, als seien damit Fragen zu beantworten.
Übersprunghandlung nennt man, wenn Hähne sich nicht zwischen Angriff und Flucht entscheiden können und stattdessen sinnlos nach Körnern picken. Im Bundestag entschied man sich gestern weder für ein Gespräch über die Tragweite des Sicherheitspakets noch für das Eingeständnis, den Gegenstand der Debatte nicht zu kennen, sondern für einen fröhlichen kleinen Ballwechsel.
Burkhard Hirsch, einer der letzten Bürgerrechtler seiner Partei, hat den Innenpolitikern aller Fraktionen neulich eine Standpauke gehalten: Das Sicherheitspaket, schrieb er, verrate totalitären Geist. Er verlangte, dass der Gesetzentwurf erst am Ende einer öffentlichen Diskussion entschieden werde. Der Bundestag hat bewiesen, dass er die Qualität der öffentlichen Diskussion jedenfalls nicht gewährleisten kann. Das werden in den kommenden Wochen andere machen müssen.
ULRIKE WINKELMANN
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